Wiedersehen in Stormy Meadows
fahre ich einmal in der Woche nach Truro und kaufe Lebensmittel ein, aber ich wünschte, sie würde mich mehr helfen lassen.
Die Post, die ich heute Morgen aus dem Briefkasten geholt habe, liegt noch auf dem Tisch, ungeöffnet, wie sonst auch. Ein wenig schuldbewusst nehme ich sie an mich und bringe sie in mein Zimmer hinauf.
Zwei Tage später. Als ich morgens in die Küche komme, sitzt Cas schon am Tisch. Sie isst weiche Eier zum Frühstück, in deren ockergelbe Mitte sie Toaststreifen tunkt. Heute trägt sie ihre neue Reithose, einen dicken roten Rollkragenpulli und warme rosa und grün gestreifte Socken. Offenbar ist sie so in die Lektüre ihrer Zeitschrift vertieft, dass sie nicht bemerkt, wie ich hereinkomme. Laura sitzt am Kopfende des Tisches, mit Blick zur Tür, und brütet über ihren Geschäftsbüchern.
Meine Mutter schaut auf und lächelt, ein wenig angespannt, wie mir scheint, aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein. »Morgen.«
Nun sieht auch Cas auf, aber sie sagt nichts, sondern hebt nur in stummem Gruß die Augenbrauen.
»Na, was hast du heute vor?« Ich nutze den Augenkontakt als Gelegenheit, sie anzusprechen.
»Ich gehe reiten«, erwidert sie, schlägt die Zeitschrift zu und steht vom Tisch auf. Die ledernen Reitstiefel, die sie mit Laura in Truro gekauft hat, stehen frisch gewienert an der Tür. Cas zieht die Stiefel über und zwängt sich dann in eine dicke blaue Steppjacke, in der sie wie ein Michelin-Männchen aussieht.
»Nicht gerade schick, ich weiß«, sagt sie zu Laura, die bei ihrem Anblick lachen muss, »aber das ist die wärmste Jacke, die ich habe, und da draußen ist es verdammt kalt. Und weißt du was – wenn schon, denn schon.« Sie nimmt eine Pudelmütze vom Garderobenständer und zieht sie trotzig über ihre Haare.
Als meine Mutter anfängt, »Erwin, der dicke Schneemann« zu singen, streckt Cas ihr die Zunge raus.
»Wenn du so anfängst, bitte schön!«, kontert Cas, greift nach dem zur Mütze passenden Schal, wickelt ihn sich fest um den Hals und bindet ihn mit einem dicken Knoten unter dem Kinn zu.
»Aber wenn du gesagt hättest, sie muss sich warm anziehen, dann wäre sie in Unterwäsche rausgelaufen«, sage ich zu meiner Mutter, nachdem Cas die Tür hinter sich zugeschlagen hat.
»Kinder lassen sich eben nicht gern was vorschreiben. Man muss ihre Schwächen erkennen, Nattie«, schmunzelt Laura. »Und sie ausnutzen. Und schon hat man sie im Griff.« Mit einem schweren Seufzer schiebt sie die Geschäftsbücher beiseite. »Ich komme hier nicht richtig weiter.«
»Probleme?«, frage ich ganz beiläufig.
»Ach, ich will es mal so sagen: Es rechnet sich nicht.«
Meine Mutter wirft mir einen seltsamen Blick zu, dann packt sie die Bücher aufeinander und trägt sie zurück in das kleine Arbeitszimmer, wo sie normalerweise auf ihrem unaufgeräumten Schreibtisch liegen. Kurz darauf schaut sie wieder in die Küche.
»Nat, du willst doch nicht gerade los, oder?«
Erstaunt schüttle ich den Kopf. »Nein, ich habe nichts vor, warum?«
»Ich muss mit dir sprechen. Aber erst muss ich noch eben telefonieren, ich will etwas fragen – bin gleich wieder da.«
Ich mache mir eine Tasse Tee und setze mich an den Tisch, auf Cassies gerade frei gewordenen Stuhl. Er ist noch warm. Cas hat die Illustrierte, in der sie gelesen hatte, einfach weggeschoben, und nun greife ich danach. Das Heft kommt mir bekannt vor, anscheinend habe ich es schon gelesen. Ich brauche einen Moment, bis mir klar wird, dass Cas gerade ein altes Exemplar von Naked durchgeblättert hat. Nicht irgendeins, sondern das, mit dem alles anfing. Laura muss es aufgehoben haben.
Mit zittrigen Händen blättere ich bis zu meinem Artikel, und gleich fällt mein Blick auf das Foto von Rob. Auf dem Bild ist er besonders gut getroffen. Er ließ sich nicht gern fotografieren, und tatsächlich wirkt er auch ein bisschen verlegen, aber abgesehen davon sieht er stark und schön aus und sehr lebendig, als hätte es die vergangenen zwanzig Monate nicht gegeben.
Mit den Fingern fahre ich die Umrisse seines Gesichts nach. Das Papier fühlt sich kühl und glatt an. Mindestens eine Viertelstunde sitze ich still am Tisch, betrachte das Foto von Rob, schaue hin, denke nicht, sehe nur das Gesicht des Mannes an, den ich liebe. Ein Gesicht, das ich nie wieder berühren oder küssen werde. Und ich wünsche mir, dass mein Leben so kurz wäre wie seines, dass es jetzt enden könnte, in diesem Moment, damit ich wieder bei ihm sein
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