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Wiedersehen in Stormy Meadows

Wiedersehen in Stormy Meadows

Titel: Wiedersehen in Stormy Meadows Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Harvey
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dem Steinboden.
    Als ich zwischen den Scheunen hindurchgehe, höre ich etwas. Ich bleibe stehen und horche. Musik? Ja, aus der Langscheune dringt tatsächlich Musik. Klassische Musik. Infolge meines sehr begrenzten Wissens auf diesem Gebiet kann ich nicht behaupten, dass ich das Stück kenne, aber es ist betörend schön. Sogar ich als bekennende Kulturbanausin bleibe noch einen Moment länger stehen, einfach um zuzuhören, bevor ich das schwere Scheunentor aufschiebe.
    Wie gut, dass ich vor dem Tor gezögert habe und nicht gleich in die Scheune gestürzt bin. Ich hätte die Szene hier drinnen unter keinen Umständen stören wollen.
    Cas tanzt zu der Musik. Sie trägt zerrissene Jeans und hat sich in einen abgelegten Aran-Pullover von Laura eingemummelt, der beim Waschen eingelaufen ist und ihr jetzt perfekt passt. An den Füßen trägt sie fest geschnürte Boots, aber ihr Tanz ist so anmutig, so fließend und hypnotisierend wie die Bewegungen des Meeres.
    Cassie ist wie in Trance. Ich schaue einem Naturgeist zu, einem körperlosen Wesen, das weder den Gesetzen der Schwerkraft noch den Einschränkungen der menschlichen Gestalt unterliegt. Cassie ist ein Lufthauch, ein zartes grünes Blatt, das im Wind schwebt, so leicht und dabei doch so leidenschaftlich.
    Sie ist so gut, dass das Zuschauen schmerzt. Ein nie gekanntes Gefühl steigt in mir auf, vom Bauch bis in die Kehle, und ich brauche einen Moment, bis mir bewusst wird, dass es unbändiger Stolz ist.
    Aber während ich noch wie gebannt zuschaue, hört Cas auf zu tanzen. Sie bleibt einfach stehen, lässt sich dann frustriert auf den Boden fallen, legt die Arme um die angezogenen Knie und fängt an zu weinen. Stille, verzweifelte Tränen, die mir das Herz zerreißen. Am liebsten würde ich sie in die Arme nehmen und mit ihr zusammen weinen. Aber ich darf diesem Wunsch nicht nachgeben, denn wenn Cassie wüsste, dass ich sie in dieser Verfassung sehe, würde das ihren Schmerz nur vergrößern.
    Also ziehe ich mich wieder in die Dunkelheit zurück, husche nach draußen und schließe geräuschlos das Tor hinter mir. Ich lehne mich gegen die kalte raue Scheunenmauer und versuche, meinen keuchenden Atem zu beruhigen. Cassie und ich sehnen uns beide nach dem gleichen Menschen, und doch können wir uns nicht gegenseitig trösten. Das steigert meine Einsamkeit ins Unermessliche.
    Lieber Rob,
    mein Egoismus hat mich so blind gemacht, dass ich es nicht gewusst habe. Was kann ich bloß tun, Rob? Ich möchte ihr helfen. Ich möchte ihr so gern helfen, weil ich weiß, wie groß ihr Schmerz ist. Ich weiß, wie weh es tut, dich so sehr zu vermissen, dich nicht hier bei uns zu haben. Aber was kann ich für sie tun, wenn sie mich nicht in ihre Nähe lässt? Und wie kann ich ihr beistehen – sie lehren, mit deinem Tod genauso blind umzugehen, wie ich selbst es bisher getan habe? Weiter alles in sich hineinzufressen? Einen Ort im tiefsten Inneren zu suchen, wo sie den Schmerz begraben kann, damit sie nicht mehr spürt, wie weh es tut …

7
    I n der folgenden Nacht wütet ein Unwetter wie ein alttestamentarischer Gott, der sich über sein Volk erzürnt hat. Der Sturm rüttelt an den Fenstern, und der Regen peitscht erbarmungslos ums Haus.
    Ich stehe erst spät auf. Nicht, weil ich nicht ausreichend geschlafen hätte – immerhin schlafe ich inzwischen wenigstens wieder vier Stunden am Stück und kann so tagsüber funktionieren –, nein, ich bleibe noch liegen, weil ich finde, dass mein Bett das Attraktivste ist, was mir der Tag zu bieten hat. Unter meiner Decke ist es so schön warm und kuschelig. Mein Problem ist bloß, dass ich schon immer ein schlechtes Gewissen hatte, wenn ich morgens zu lange im Bett liegen blieb. Außerdem erinnert es mich an jene leere, triste Zeit gleich nach Robs Unfall, als ich mich tagelang wie eine Untote in meinem Zimmer verkrochen habe.
    Schließlich raffe ich mich doch auf und lege mich erst mal eine halbe Stunde in die Badewanne, in der vergeblichen Hoffnung, das nach Lavendel duftende, heiße Schaumbad könne meine Melancholie wegspülen. Als ich schließlich nach unten gehe, stelle ich fest, dass ich allein zu Hause bin.
    Ich seufze. Dann hole ich den Brief an Rob aus meinem Zimmer, nehme Lauras Regenmantel vom Haken und schlüpfe in ein Paar Stiefel. Dann marschiere ich trotz des Unwetters geradewegs auf den mir inzwischen so vertrauten Weg durch die Wiesen zu. Zum Glück kenne ich mich gut aus – die Sicht beträgt gerade mal zehn Meter.
    Ich

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