Wiedersehen in Stormy Meadows
ausgezogen?« Ungläubiges Staunen malt sich auf Cassies Gesicht.
Ich nicke, erwidere aber nichts. Über dieses Thema möchte ich mit Cassie nicht sprechen, denn sie könnte auf die Idee kommen, es mir nachzumachen.
»Das habe ich nicht gewusst.«
»Es gibt so einiges, was du nicht von mir weißt.«
Cas nickt langsam, als würde ihr diese Tatsache gerade eben klar, und ich zerbreche mir den Kopf, wie ich das Thema wechseln könnte.
Das Gelände fällt jetzt steiler ab. Von hier aus sehe ich den Strand deutlicher, er liegt rechts von uns, und geradeaus windet sich die schmale Straße dorthin durch die Hügel. Gleich vor uns, etwa dreihundert Meter von der Straße entfernt, ist in einer kleinen Baumgruppe etwas Graues zu sehen.
»Was ist das denn?«, frage ich und deute darauf.
Laura hatte aufs Meer hinausgeschaut und folgt jetzt meinem Blick. An den Hang schmiegt sich, von der Straße aus nicht zu sehen, ein altes, verfallenes Häuschen. Es ist lang und niedrig, der weiße Putz ist großenteils abgebröckelt, das Dach ist mit Schiefer gedeckt.
»Das ist Smuggler’s Cottage«, erklärt sie.
»Smuggler’s Cottage?« Cassie ist skeptisch. Sie hat von Laura schon zu viele Geschichten über Strandungen und Piraten gehört. »Da haben wirklich Schmuggler drin gewohnt?«
»Klar, sonst würde das Haus doch nicht so heißen«, sagt Laura empört.
»Wer’s glaubt, wird selig. Ein Seepferdchen hat auch nichts mit einem Pferd zu tun, oder?«
Als wir näher kommen, zeigt sich das Cottage in seiner ganzen Schönheit. Es könnte ein Postkartenmotiv sein, wenn es nicht so vernachlässigt wäre. Das graue Schieferdach, das ich als Erstes durch die Bäume schimmern sah, ist bei näherem Hinsehen voller Löcher. Die Haustür ist halb offen, die Angeln sind kaputt, und die schwarze Farbe blättert von dem gesplitterten Holz ab. Die Fensterscheiben sind zum größten Teil zerbrochen, die Rahmen sind weggefault. Die weiß gekalkten Wände sind schmutzig grau vor Feuchtigkeit oder mit meergrünen Flechten bewachsen. Doch trotz seines jämmerlichen Zustandes ist dieses Cottage eins der hübschesten Häuser, die ich je gesehen habe. Es liegt sehr idyllisch, eingebettet in ein Gestrüpp aus Brombeeren und winterlich kahlen Wildrosen, und das Gras ringsherum ist kniehoch.
»Was für ein tolles Haus. Wer hat das bloß so verkommen lassen?«, murmele ich, während ich durch die Lücke in der verfallenen Feldsteinmauer gehe, in der sich früher einmal eine Pforte befand.
»Wem gehört es?«, fragt Cassie, die mir folgt. Tuff tanzt vor uns her. Ihn faszinieren die herrlichen Düfte, die Haus und Garten verströmen und die jetzt im Winter nur er mit seinen feinen Sinnen wahrnehmen kann.
Laura lächelt geheimnisvoll. »Mir.« Sie zuckt die Achseln. »Ja, es gehört mir.«
Erstaunt reißt Cassie die Augen auf. Sie will etwas sagen, aber Laura fährt fort: »Es war schon baufällig, als wir hergezogen sind«, erklärt sie. Sie tritt durch die Haustür und geht in den Raum zur Rechten. Um zu hören, was sie sagt, müssen wir ihr folgen. »Damals war es natürlich noch nicht so schlimm, aber ich hatte kein Geld, um etwas daran machen zu lassen. Das ist furchtbar schade, denn das Haus schreit ja geradezu nach Zuwendung. Ich habe natürlich auch überlegt, es zu verkaufen, an Leute, die sich die Renovierung leisten können, aber dann habe ich das doch nicht übers Herz gebracht. Vor etwa acht Jahren war eine Familie sehr interessiert – sie wollten es zu einem Ferienhaus umbauen, aber sie waren so unmöglich, dass ich das nicht weiterverfolgt habe. Sie hatten drei Kinder, das waren richtige kleine Monster. Ich habe sie dabei erwischt, wie sie mit Steinen nach den Schafen geworfen haben, und sie hatten großen Spaß daran, meinen armen alten Rufus zu ärgern. Da konnte ich die Vorstellung, dass sie in meiner Nähe wohnen würden, nicht ertragen. Aber es ist natürlich schade, wenn man es so sieht …«
Während Laura spricht, wandere ich über den mit Steinbrocken übersäten Fußboden des früheren Wohnzimmers, wie ich vermute.
»Wow! Guckt doch mal, was man hier für einen Ausblick hat!«
Laura verstummt und folgt mir. Der Fensterrahmen ist weggefault, die Scheibe, die er einmal hielt, liegt zersplittert vor unseren Füßen auf dem Steinboden. Durch die leere Fensterhöhlung ist der Garten zu sehen, und obwohl er völlig verwildert ist, erkennt man immer noch, dass er einst von Menschenhand gepflegt wurde. Begrenzt wird er von einer
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