Wiedersehen in Stormy Meadows
Reihe von Feldsteinen, die einmal eine Mauer gebildet haben. Hinter dieser verfallenen Mauer liegt ein Streifen Wiese, der zu einem Sandstrand abfällt, und jenseits davon dehnt sich, von den Mauern eingerahmt wie ein Bild, unendlich weit das Meer.
»Wunderschön, nicht?«, sagt meine Mutter.
Ich nicke. »Während meiner Zeit hier habe ich dieses Cottage nie gesehen.«
»Ich habe Cas ja eben schon erzählt, dass du nicht sehr lange hier gewohnt hast, und meistens hast du in deinem Zimmer gesessen und deine Flucht vorbereitet. Du hast dir keine Zeit genommen, dich mal umzusehen und herauszufinden, ob du es hier nicht doch ganz gut aushalten könntest. Aber andererseits hatte es nichts mit Stormy Meadows zu tun, dass du abgehauen bist, oder?« Laura streckt mir die Hand hin, und nach einem kurzen Moment der Verwirrung ergreife ich sie. Schritte über unseren Köpfen sagen uns, dass Cas gerade das Obergeschoss erkundet.
»Pass gut auf da oben!«, ruft Laura ihr zu. Sie drückt meine Finger und lässt meine Hand dann los. »Die Bodendielen sind an manchen Stellen schon ein bisschen morsch.«
»Ein bisschen?«, wiederholt eine Stimme ganz in der Nähe, und als wir hochsehen, entdecken wir durch ein Loch in der Decke Cassies grinsendes Gesicht. »Na? Ist das hier der Notausgang für die Schmuggler?«, fragt sie mit gespielter Naivität, um meine Mutter auf die Schippe zu nehmen. »Wenn die Polizei kommt, springen sie einfach durch das Loch in der Decke runter und rennen ganz schnell raus zu ihrem Piratenschiff.«
Es gibt nichts Schöneres, als nach einem kalten Winterspaziergang in eine warme Küche zu kommen, Stiefel, Mantel und Handschuhe auszuziehen und zu spüren, wie die sanfte Wärme des Feuers das Blut in Finger und Zehen zurückströmen lässt. Außerdem kommen wir uns richtig toll vor, weil wir mindestens fünf Meilen weit gewandert sind. Folglich dürfen wir uns zum Abendbrot etwas gönnen, was richtig dick macht – Tee, Kuchen und eine riesige Schachtel Pralinen, die meine Mutter von einer Nachbarin als Dankeschön erhalten hat. Zu dritt futtern wir in beängstigendem Tempo die ganze Schachtel leer. Anschließend spielen wir ein paar Runden Schwarzer Peter, wobei Laura und Cas gnadenlos schummeln. Um zehn gehen wir alle hoch ins Bett. Ich bin sehr müde, richtig schläfrig, aber auf angenehme Weise.
Doch bevor ich mich hinlege, muss ich noch eine letzte Sache erledigen. Ich hole Stift und Papier hervor und beginne zu schreiben.
Lieber Rob,
wir hatten heute einen schönen Abend, in mehr als einer Hinsicht war er voller Wärme. Vielleicht akzeptiert Cas mich jetzt ein bisschen mehr. Das hoffe ich jedenfalls. Ich möchte so gern, dass wir Freundinnen werden. Allmählich wird mir klar, wie wenig ich von ihr weiß – von der echten Cassie, von ihrem Sinn für Humor und ihrer Herzlichkeit.
Ich glaube, unser Besuch hier ist gut für sie. Anfangs habe ich mir Sorgen gemacht, dass meine Entscheidung dafür falsch gewesen sein könnte, aber jetzt sehe ich, dass schon allein das Zusammensein mit Laura ihr sehr hilft. Meine Mutter und ich hatten heute auch einen kleinen Durchbruch. Es war nur ein kurzer Moment, aber er hat mir viel bedeutet. Sie versteht viel mehr, als ich geglaubt habe. Ich weiß ja, dass sie einen sehr guten Einfluss auf Cassie hat, aber ich muss zugeben, dass ich selbst auch etwas davon habe, hier bei ihr zu sein.
Ich liebe und vermisse dich, mehr, als du jemals wissen kannst. Aber das weißt du ja, oder?
Immer Deine
N.
Ich lege den Brief auf meinen Nachttisch. Bei meinem nächsten Spaziergang an der Küste entlang werde ich ihn mitnehmen.
»Kannst du Cassie zum Essen hereinholen?«
Ich schaue von meiner Zeitung auf und lächle Laura zu. Sie greift gerade mit einem grün gestreiften Topfhandschuh tief in den Bauch des Herdes.
»Ja, klar. Weißt du, wo sie ist?«
»In der Langscheune, glaube ich.«
Ich begebe mich in den kühlen Abend hinaus. Es ist heute erst das zweite Mal, dass ich aus dem Haus komme. Der Tag war dunkel und bedeckt, und nichts konnte uns zu größeren Aktivitäten verlocken, sodass wir nur gelesen und gemeinsam einen Film angeschaut haben. Lange, erholsame Stunden haben wir so gut wie nichts getan, und trotzdem habe ich das Gefühl, dass wir drei zusammen noch nie so entspannt gewesen sind.
Einige Meilen entfernt ruft aus einem dichten Gebüsch eine einsame Eule. Chance wandert unruhig in seiner Box umher. Wo er das Stroh weggescharrt hat, klappern seine Hufe auf
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