Wiedersehen macht Liebe (German Edition)
nach der Verhandlung Augenkontakt zu ihr gehalten hatte.
Also hatte er sich doch an sie erinnert.
»Mir ist an dem Blick nichts Seltsames aufgefallen«, schwindelte sie.
Ihre Mutter schien nicht ganz überzeugt zu sein. »Hmm. Gut, dass du diesen Fall hinter dir hast, sonst müsste ich dir wahrscheinlich einen Vortrag darüber halten, warum du dich von solchen Jungs fernhalten solltest. Mütterliche Pflicht und so.«
Darüber musste Rylann schmunzeln. »Kyle Rhodes ist wohl kaum ein Junge, Mom.«
»Oh, glaub mir, das ist mir aufgefallen.«
Igitt! Rylann wollte gerade das Thema wechseln, ohne zu erwähnen, dass ihre Arbeit mit Kyle doch noch nicht ganz beendet war, als ihre Mutter ihr zuvorkam.
»Also abgesehen vom Twitter-Terroristen-Fall, woran hast du sonst so gearbeitet?«, fragte sie. Bevor sie in den Ruhestand gegangen war, hatte sie als Anwaltsgehilfin bei einer Strafverteidigungskanzlei in Chicago gearbeitet und unterhielt sich daher mit Rylann gerne über ihre Fälle – selbst wenn ihre Tochter »für die andere Mannschaft spielte«, wie sie scherzhaft zu sagen pflegte.
Während Rylanns Kindheit war die traditionelle Rollenverteilung im Haushalt der Pierces über einen längeren Zeitraum hinweg vertauscht gewesen. Tatsächlich war ihre Mutter damals viele Jahre die Hauptbrötchenverdienerin gewesen. Rylanns Vater, ein Heizungsbauer, hatte sich den Rücken verletzt, als Rylann sieben Jahre alt gewesen war, und trotz einer Behandlung und anschließender Physiotherapie hatte er niemals wieder Vollzeit arbeiten können. Daher war es ihr Vater gewesen, der sie zur Schule gebracht, sie danach wieder abgeholt und zwischendurch ein paar Reparaturaufträge ausgeführt hatte. Um achtzehn Uhr war ihre Mutter dann durch die Tür gekommen, hatte sich umgezogen und sich fürs Abendbrot zu ihnen an den Tisch gesetzt. Dann hatte sie meist von den Fällen berichtet, an denen sie und »ihre Anwälte« arbeiteten.
Schon als kleines Mädchen hatte Rylann eine Sache an diesen Geschichten schnell begriffen: Es gefiel ihr nicht, wenn die Bösen gewannen. Und daraus war schließlich ihre Entscheidung erwachsen, Staatsanwältin zu werden.
Rylann sprach noch ein paar Minuten mit ihrer Mutter, bis es an der Tür klingelte. Sie lief nach unten, um ihr Essen entgegenzunehmen, und machte es sich mit ihren Akten, einer Portion Kung-Pao-Huhn und einem Glas von dem Riesling bequem, den sie nach der Trennung von Jon bei der Aufteilung ihrer Weinsammlung ergattert hatte. Und wieder ein ruhiger Freitagabend, wie so viele andere, die sie in den letzten sechs Monaten erlebt hatte.
Und wow, gerade war sie gefährlich nah dran gewesen, sich selbst zu bemitleiden. Gut, dass sie die Arbeit hatte, auf die sie sich konzentrieren konnte – zumindest das änderte sich nie.
So saß sie also an der Küchentheke und arbeitete die Akten durch. Ungeachtet der Tatsache, dass der Brown-Fall weder der größte noch der glamouröseste war, an dem sie jemals gearbeitet hatte, war er schon an die Spitze ihrer Prioritätenliste gerückt. Zuerst einmal war ein Mann brutal totgeprügelt worden. Es gab nicht vieles, was ihren Gerechtigkeitssinn stärker ansprach. Zweitens war der Fall ihrer Chefin eindeutig wichtig. Und wenn Cameron der Fall wichtig war, durfte Rylann, die »Neue«, es unter keinen Umständen versauen.
Was bedeutete, dass sie und Kyle Rhodes noch etwas zu erledigen hatten.
Am Montagmorgen betrat Rylann das Büro voll neuer Energie, bereit, es mit einem gewissen Milliardärserben aufzunehmen.
Sobald sie sich an ihren Schreibtisch gesetzt hatte, suchte sie die Nummer der Kanzlei heraus, die Kyle vertrat. Genau genommen hätte sie ihn auch direkt kontaktieren können, da die Angelegenheit, über die sie mit ihm sprechen wollte, nichts mit seinem Fall zu tun hatte. Dennoch hielt sie es für klüger, sich aus Höflichkeit zuerst an seine Anwälte zu wenden.
Eine Höflichkeit, die bedauerlicherweise nicht erwidert wurde.
»Ich sage Ihnen das Gleiche, was ich dem FBI gesagt habe, Ms Pierce. Sie haben den Verstand verloren, wenn Sie denken, dass ich Sie mit meinem Mandanten sprechen lasse«, lautete die wütende Antwort von Mark Whitehead, Kyles Hauptverteidiger. »Nicht nach der Art und Weise, wie Ihr Büro ihn vor fünf Monaten behandelt hat.«
»Diese Sache hat nichts mit Mr Rhodes’ Fall zu tun«, erwiderte Rylann in ihrem umgänglichsten Tonfall. »Ich würde mit ihm gerne über eine laufende Ermittlung sprechen, bei der es um einen
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