Wiedersehen macht Liebe (German Edition)
sind, Ms Pierce?«
Einen Augenblick lang sagte sie nichts, dann trat sie einen Schritt auf ihn zu. Sie standen sich nun sehr nah gegenüber. Ihre Körper berührten sich fast, während sie zu ihm hochsah. »Rufen Sie mein Büro an, Kyle«, sagte sie. »Oder ich werde Sie so schnell vorladen lassen, dass Ihnen schwindlig wird.«
Dann trat sie einen Schritt zurück und warf ihm ein trügerisches Lächeln zu, während sie zur Haustür ging. »Oh, und ich wünsche noch einen guten Abend.«
11
Rylann warf einen Blick auf ihre Uhr, während sie den Eingangsbereich des Metropolitan Correctional Centers betrat, des Hochsicherheitsgefängnisses mitten in der Innenstadt von Chicago. Der Weg von ihrem Büro an fünf Häuserblocks vorbei hatte länger gedauert als erwartet, aber ihr blieben trotzdem noch ein paar Minuten.
Sie hatte dieses Treffen, das erste mit einem der Agenten des hiesigen FBI-Büros, arrangiert, nachdem sie die Brown-Akte am Wochenende durchgegangen war.
Auch wenn der für die Ermittlung zuständige Special Agent gute Arbeit geleistet hatte, war es ihm bedauerlicherweise nicht gelungen, mit anderen Häftlingen als Browns engsten Freunden zu sprechen. Mit einer möglichen Ausnahme: Laut der Akte hatte sich ein Gefangener namens Manuel Gutierrez, der in der Nacht von Browns Ermordung Watts’ Zellennachbar gewesen war, zwar geweigert, mit dem FBI zu sprechen, aber angedeutet, dass er einem Gespräch mit der Staatsanwaltschaft nicht abgeneigt war.
Rylann hatte diese Art von Forderung schon öfter gehört – sie kam nicht selten vor, wenn das FBI einen Gefangenen verhören wollte. Verurteilte Straftäter waren wie übereifrige Jurastudenten im ersten Semester, wenn es darum ging, Wege aus dem Gefängnis zu finden, einschließlich eines erstaunlichen Wissens über Regel 35, die es Gerichten erlaubte, die Haftstrafen kooperierender Gefangener zu verkürzen. Und die gerisseneren Häftlinge wussten außerdem, dass nur die Staatsanwaltschaft – und nicht etwa das FBI – die Autorität besaß, eine solche Strafminderung zu beantragen.
Im Allgemeinen hielt Rylann nicht besonders viel davon, mit Häftlingen Abmachungen gemäß Regel 35 zu treffen. In erster Linie machte dieses Vorgehen derartige Aussagen für den Vorwurf der Voreingenommenheit angreifbar, wie sie Kyle gegenüber am Tag zuvor angedeutet hatte. Abgesehen davon bestand ihre Aufgabe darin, Kriminelle hinter Gitter zu bringen, anstatt dafür zu sorgen, dass sie frühzeitig entlassen wurden. Aber sie war auch praktisch veranlagt, und manchmal war es für den Erfolg eines Falls eben unumgänglich, die Aussage eines Strafgefangenen zu haben. Außerdem war ihr klar, dass es aus der Perspektive eines Häftlings gefährlich sein konnte, Informationen an die Behörden weiterzugeben. Das Leben im Gefängnis konnte ganz schnell unangenehm werden, wenn man als Verräter galt. Daher war Regel 35 gelegentlich die einzige Motivation, die sie hatte, um jemanden hinter Gittern zur Kooperation zu bewegen.
Daher bestand ihre heutige Aufgabe darin, herauszufinden, wie viel Manuel Gutierrez über Browns Tod wusste. Rylann hatte bereits frühmorgens den für den Fall zuständigen FBI-Agenten angerufen und einen gemeinsamen Besuch bei Gutierrez vorgeschlagen. Wie der Zufall es wollte, hatte der Agent gerade an diesem Nachmittag Zeit.
»Ms Pierce?«
Ein Afroamerikaner Mitte zwanzig kam auf sie zu. Er trug das freundlichste Lächeln und den geschmackvollsten Anzug, den sie jemals bei einem FBI-Agenten gesehen hatte, zur Schau.
Er streckte ihr seine Hand entgegen. »Special Agent Sam Wilkins, zu Ihren Diensten. Ich habe die Aktentasche gesehen und dachte mir, dass Sie es sind.«
»Es ist mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen, Sam. Bitte nennen Sie mich Rylann.«
Sie plauderten ein wenig, als sie vor den Schließfächern haltmachten, wo Wilkins seine Dienstwaffe abgab. Innerhalb weniger Minuten erfuhr Rylann so, dass er relativ neu beim FBI war, direkt nach der Yale Law School dort angefangen hatte, und dass der Brown-Fall seine erste Soloermittlung in der Abteilung für Gewaltverbrechen war.
»Warum haben Sie sich für Gewaltverbrechen entschieden?«, fragte sie neugierig. Wilkins’ Stil schien weniger grob und grimmig zu sein als der der anderen FBI-Agenten, mit denen sie bis jetzt zusammengearbeitet hatte.
Er zuckte mit den Schultern. »Es ist wahrscheinlich eher so, dass sich die Gewaltverbrechen für mich entschieden haben. Als ich anfing, bekam ich einen
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