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Wiedersehen mit Mrs. Oliver

Wiedersehen mit Mrs. Oliver

Titel: Wiedersehen mit Mrs. Oliver Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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George, nein …«
    Poirot hob die Augenbrauen und schlüpfte durch eine angelehnte Seitentür. Er ging, so schnell er konnte, einen Seitenweg hinunter; er verfügte über einen ausgezeichneten Ortssinn und wusste, dass dieser Weg in den Haupteinfahrtsweg münden würde.
    Sein Gefühl war richtig, und er überholte Mrs Folliat, der er, obwohl ein bisschen außer Atem, galant den Gartenkorb abnahm.
    »Sie gestatten, Madame?«
    »Oh, vielen Dank, M. Poirot, das ist furchtbar nett, aber der Korb wird Ihnen zu schwer werden.«
    »Bitte erlauben Sie mir, Ihnen den Korb nach Hause zu tragen. Sie wohnen in der Nähe?«
    »Ja, ich wohne in dem kleinen Pförtnerhaus beim Gartentor. Sir George hat es mir liebenswürdigerweise vermietet.«
    Das Pförtnerhaus am Gartentor ihres ehemaligen Besitztums … Was empfand sie wirklich? fragte sich Poirot. Ihr Benehmen war so damenhaft, dass man ihre wahren Gefühle nicht erraten konnte. Er lenkte die Unterhaltung auf ein anderes Gebiet und bemerkte:
    »Lady Stubbs ist sehr viel jünger als ihr Mann, nicht wahr?«
    »Dreiundzwanzig Jahre jünger.«
    »Eine sehr schöne Frau.«
    »Hattie ist ein liebes Kind«, antwortete Mrs Folliat ruhig.
    Diese Antwort hatte Poirot nicht erwartet. Mrs Folliat fuhr fort: »Ich kenne sie nämlich sehr gut, da sie für kurze Zeit unter meiner Obhut stand.«
    »Das war mir nicht bekannt.«
    »Wie sollte es auch? Es ist eigentlich eine ziemlich traurige Geschichte. Ihre Familie besaß Zuckerrohrplantagen in Westindien. Durch ein Erdbeben wurde das Haus zerstört, und ihre Eltern und alle ihre Geschwister kamen ums Leben. Hattie selbst befand sich damals in Paris, in einer Klosterschule, und war nun plötzlich eine Waise ohne irgendwelche nahen Verwandten. Die Testamentsvollstrecker hielten es für angebracht, dass Hattie eine Anstandsdame bekam und in die Gesellschaft eingeführt würde. Ich nahm diese Stellung an.« Mrs Folliat fügte mit einem trockenen Lächeln hinzu: »Ich kann mich, wenn nötig, elegant anziehen, und ich verfügte über die besten Beziehungen – der verstorbene Regent war ein persönlicher Freund unserer Familie.«
    »Ich verstehe, Madame, ich verstehe.«
    »Mir passte es sehr gut – ich hatte viel Schweres durchgemacht. Mein Mann war kurz vor Ausbruch des Krieges gestorben; mein ältester Sohn, der bei der Marine war, kam um, als sein Schiff sank, und mein jüngerer Sohn, der bis dahin in Kenya gelebt hatte, kehrte zurück – und fiel in Italien. Das bedeutete dreifache Erbschaftssteuer, und das Haus hier wurde zum Verkauf angeboten. Ich war dankbar, eine Zerstreuung und Abwechslung zu bekommen, mich um einen jungen Menschen kümmern und mit ihm reisen zu können. Ich gewann Hattie sehr lieb, umso mehr, als mir klar wurde, dass sie – nun, sagen wir, dass sie nicht imstande war, allein mit sich und der Welt zu Rande zu kommen. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, M. Poirot, ich will keineswegs behaupten, dass Hattie geistig zurückgeblieben ist, sie ist nur ein wenig einfältig. Sie lässt sich leicht ausnutzen, sie ist zu sanft, zu wehrlos. Ich selbst hielt es damals für ein Glück, dass sie so gut wie kein Geld besaß; wenn sie eine reiche Erbin gewesen wäre, hätte ihre Lage recht unangenehm werden können. Die Männer fühlten sich von ihr angezogen; da sie aber von Natur aus anlehnungsbedürftig und leicht zu beeinflussen ist, brauchte sie unbedingt einen verantwortungsbewussten Menschen, der sich ihrer annahm. Als sich schließlich herausstellte, dass die Plantage ihrer Eltern völlig zerstört war und der Nachlass nur aus Schulden bestand, schien es ein großes Glück zu sein, dass ein Mann wie Sir George Stubbs sich in sie verliebte und sie heiraten wollte.«
    »Jedenfalls war das eine Lösung ihrer Probleme.«
    »Obwohl Sir George aus sehr kleinen Verhältnissen kommt und – geben wir es ruhig zu – einen ziemlich vulgären Eindruck macht, ist er im Grunde genommen gut und anständig – und zudem außerordentlich wohlhabend. Ich glaube nicht, dass er jemals intellektuelle Ansprüche an seine Frau stellen würde, und Hattie ist in jeder Beziehung sein Ideal. Sie weiß elegante Kleider und kostbare Juwelen zur Geltung zu bringen, sie ist liebevoll und gefügig, und sie ist restlos glücklich mit ihm. Ich gebe zu, dass ich darüber sehr froh bin, da ich ihr geraten hatte, Sir Georges Antrag anzunehmen. Wenn es schlecht ausgegangen wäre«, sagte sie mit zitternder Stimme, »hätte ich mir ewig Vorwürfe gemacht, sie

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