Wiedersehen mit Mrs. Oliver
wirklich an den unmöglichsten Orten«, sagte er bitter. »Dieser Tempel hier ist erst vor einem Jahr erbaut worden – er ist nicht einmal besonders hässlich und passt zum Stil des Hauses –, aber warum steht er gerade hier? So etwas sollte man sehen können, es sollte auf einem erhöhten, freien Platz stehen, inmitten eines Rasens, der von einer hübschen Blumenrabatte umgeben sein müsste. Aber dieses arme kleine Ding steht hinter Bäumen verborgen und ist unsichtbar; man müsste erst einmal etwa zwanzig Bäume fällen, damit man es wenigstens vom Fluss aus sehen könnte.«
»Vielleicht war das der einzig mögliche Platz«, meinte Mrs Oliver.
Michael Weyman grunzte ärgerlich.
»Der Grasabhang neben dem Haus wäre der ideale Platz gewesen; aber nein, diese Big-Business-Typen sind alle gleich – keinen Sinn fürs Künstlerische. Sir George will ein Sommerhäuschen haben, ein Folly, wie er es nennt, und bestellt sich eins. Er sucht nach einem Platz, auf den er es stellen kann; da stürzt zufällig bei einem Sturm eine riesige Eiche um und hinterlässt eine hässliche Lücke, ›Da werden wir das Folly aufbauen‹, sagt der dumme Kerl, ›dann haben wir zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen …‹ Diese reichen Leute! Ein Wunder, dass er nicht Geranien und Stiefmütterchen vors Haus gepflanzt hat! Solchen Leuten dürfte es gar nicht erlaubt sein, so schöne alte Besitzungen zu kaufen …«
Er schien erregt.
Dieser junge Mann kann Sir George Stubbs offensichtlich nicht ausstehen, dachte Poirot.
»Der Tempel hat ein Betonfundament«, erläuterte Weyman, »und darunter ist lockere Erde; der Beton ist bereits an mehreren Stellen gesprungen; bald wird es lebensgefährlich werden … am besten sollte man das Ganze abreißen und oben am Grasabhang neu aufbauen. Das ist mein Rat, aber der halsstarrige alte Narr hört nicht auf mich.«
»Und was ist mit dem Tennispavillon?«, fragte Mrs Oliver.
Das Gesicht des jungen Mannes verfinsterte sich noch mehr.
»Er will eine Art chinesischer Pagode haben«, erklärte er stöhnend. »Vielleicht noch mit Drachen! Und nur deshalb, weil Lady Stubbs gern Kulihüte trägt. Da kann man die Lust daran verlieren, Architekt zu sein! Leute mit gutem Geschmack haben nicht das Geld, sich etwas bauen zu lassen, und die anderen bestellen sich die größten Scheußlichkeiten.«
»Darf ich Ihnen mein volles Mitgefühl aussprechen?«, sagte Poirot.
»Wofür hält sich Sir George Stubbs eigentlich?«, fuhr der Architekt ärgerlich fort. »Während des Krieges hat er für die Admiralität gearbeitet – an einem sicheren Ort in den Bergen – aber er hat sich einen Vollbart wachsen lassen, um anzudeuten, dass er aktiv bei der Marine war – das wird allgemein gesagt! Und schwerreich ist er – er stinkt vor Geld!«
»Schließlich müsst ihr Architekten jemanden finden, der Geld ausgeben kann, sonst wärt ihr arbeitslos«, meinte Mrs Oliver mit unbestreitbarer Logik. Sie ging entschlossen auf das Haus zu; Poirot und der verstimmte Architekt folgten ihr.
»Diese Industriekapitäne haben keine Ahnung von Architektur«, bemerkte Weyman bitter. »Wenn die Fundamente morsch sind, ist alles morsch.«
»Das sind weise Worte«, sagte Poirot, »sehr weise.«
Jetzt wurde das Haus sichtbar; es hob sich weiß und imposant vom Hintergrund der großen, dunklen Bäume ab.
»Wirklich ein herrliches Haus«, murmelte Poirot.
»Er will einen Billardsaal anbauen«, zischte Weyman giftig.
Auf dem Grashang war eine alte Dame damit beschäftigt, mit einer Gartenschere die Sträucher zu stutzen. Sie kletterte schwer atmend zu ihnen hinauf.
»Alles hier ist jahrelang vernachlässigt worden«, erklärte sie, »und heutzutage ist es schwer, einen Gärtner zu finden, der etwas von Sträuchern versteht. Der Hügel sollte im März und April eigentlich wie ein Farbenmeer aussehen, aber dieses Jahr war es sehr enttäuschend – all dies tote Holz hätte bereits im vorigen Herbst abgesägt werden sollen …«
»M. Hercule Poirot – Mrs Folliat«, stellte Mrs Oliver vor.
Die alte Dame strahlte.
»Also Sie sind der große Hercule Poirot! Wie reizend von Ihnen, dass Sie uns morgen helfen wollen. Diese kluge Dame hier hat sich ein hochinteressantes Problem ausgedacht – etwas ganz Neues!«
Poirot war über das huldvolle Auftreten der alten Dame leicht erstaunt. Sie benahm sich, als wäre sie die Gastgeberin.
Er erklärte höflich:
»Mrs Oliver ist eine alte Freundin von mir, und es ist mir ein Vergnügen,
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