Wiegenlied Roman
vortäuschen zu müssen, denn im gleichen Zug war sie vom König für ein zweimonatiges Gastspiel am Dresdner Theater freigegeben worden, das ihr zweitausend
Taler einbringen würde. Im Übrigen durfte sie sich bei den Diners des Monarchen stets seiner besonderen Aufmerksamkeit sicher sein. Solange die Stich ihre Sonderwünsche bei ihm durchsetzte, war sie sanft wie ein Lamm.
Ein Zittern durchlief Elsa, als die scharfen Blätter des Schilfrohrs sie streiften. Es ließ sie unwillkürlich an die Ufer des Heiligens Sees denken, von denen sie in Begleitung des Prinzen die schönsten Ansichten hatte genießen können, dabei hatte sie Eindrücken von der Natur bislang niemals etwas abgewinnen können.
Wenn Elsa sich auf den Weg zum Marmorpalais machte, erzählte sie Hersilie Stopfkuchen, sie treffe Moritz in Potsdam, wo er bei seinem Jugendfreund, dem Prinzen Wilhelm Ludwig, zur Jagd weilte. Hersilie erfüllte es mit Stolz und solidarischer Wonne, dass Elsa sie ihre mütterliche Freundin nannte und sich exklusiv ihr anvertraute. Täglich erneuerte sie den heiligen Schwur unbedingter Diskretion. Nach Elsas erstem Geständnis ließ sie auf der Stelle nach den neuesten Seidenstoffmustern ihrer Manufaktur schicken und bestellte die Schneiderin. Wenn das Kind Ausflüge in Gesellschaft eines Prinzen von Preußen und des hinreißenden Moritz von Vredow unternahm, sollte sie jedes Mal ein neues Kleid tragen können.
Gewissensnöte plagten Elsa nicht, denn es war doch fast die Wahrheit, die sie Hersilie anvertraute, nur eben in einer anderen Besetzung, als diese glaubte. Auf diese Weise hatte sie sich die Möglichkeit geschaffen, sich hin und wieder über ihre Begegnungen mit Wilhelm Ludwig mitzuteilen und obendrein zu Hersilies allergrößtem Entzücken von den Stimmungen des Heiligen Sees zu erzählen. Wie die untergehende Sonne von dem Ruderboot aus, in dem sie die letzten
warmen Nachmittage dieses Jahres miteinander genossen hatten, die Schilfrohrbuchten bizarren Wäldern gleichen ließ, wie das Auffliegen der Wasservögel die Stille durchbrach oder wie unvergleichlich sanft das Licht einer Alabasterlampe im Marmorpalais nach Anbruch der Dunkelheit die menschlichen Konturen umspielen konnte (wobei sie unerwähnt ließ, dass es sie dazu verleitete, Wilhelm zu betrachten, während er die Augen geschlossen hielt).
Hersilie war seitdem auf der Suche nach gleich mehreren Vasen aus Alabaster, um sie als Lampen zu verwenden. Am liebsten wollte sie in jedem Zimmer eine haben, denn kaum etwas, sagte sie, konnte eine Frau im Matronenalter glücklicher machen als etwas Konfekt und die Gnade einer sanften Beleuchtung.
Als das Boot anlegte, flogen Fasanen auf. Über den schwankenden Plankenboden folgte Elsa ihrer Schwester, die sich vom Ruderer helfen ließ, die Pfaueninsel zu betreten, so als hätte Helene sich im Stillen zu einem Entschluss durchgerungen - allein, ohne ihre Bedenken, Zweifel oder Kümmernisse, was diese Sache anging, zu teilen.
Als Helene sich an Land zu ihr umwandte, zog ein Moment zärtlichster Liebe für die kleine, kluge, so gewissenhafte und verantwortungsvolle Schwester durch Elsas eigensinniges Herz. Sie ergriff ihre Hand und machte sie mit Hermine von Helmer bekannt.
Sobald sie einige Schritte gegangen waren und sich außer Hörweite des Bootsmannes befanden, der auf sie warten würde, teilte die junge Hofdame ihnen mit, dass ihr Weg sie zum Kavaliershaus führte.
Sie ließen den Rosengarten hinter sich, wo Büsche und Hochstämme ihre Blüten majestätisch welkend der Oktobersonne
entgegenreckten. Unter den alten Eichenbäumen, die ihren Weg säumten, ließen Pfauen ihr geschlossenes Gefieder hinter sich durch das Herbstlaub schleifen wie lustlose Balldamen ihre Schleppen. Nahezu im Laufschritt hielt Elsa sich mit Helene an der Seite Fräulein von Helmers, die eine seltsam muntere Konversation mit ihnen führte. Da ihr Geplauder über die neueste Pariser Mode der Lage derart wenig angemessen war - wobei sie ihre Kommentare zur Silhouette der neuen Ärmelschnitte durchaus mit Witz zu durchziehen verstand -, vermutete Elsa, dass die junge Hofdame nicht im Bilde war.
Noch während sie diesen Schluss zog, konnte sie sich selbst dabei zusehen, wie sie den Rücken straffte, beherzter ausschritt und Helene aufmunternd zulächelte. Es behagte ihr, dieses besondere Gefühl von Macht. Sie, Elsa Heuser, war Mitwisserin eines Geheimnisses. Keine Geringere als die Frau des Königs hatte sie um Hilfe ersucht. Nicht
Weitere Kostenlose Bücher