Wiegenlied Roman
einmal ER, der König, wusste davon. (Noch viel weniger wusste er selbstredend, dass sie seinen zweitgeborenen Sohn glücklich machte. Und weil Elsa wusste, dass er ihm Eliza Radziwill, die Liebe seines Lebens, genommen hatte, empfand sie zuweilen den Stolz einer Partisanin, die dem Prinzen einen Ersatz für etwas gab, was ihm aus Gründen der Staatsräson verwehrt worden war.)
Kaum hatten sie den Kandelaber mit seinen baumhohen Fontänen passiert, aus dem sich Kaskaden von Havelwasser ergossen, schien das Fräulein noch schneller zu werden. Wie ein Haken schlagender Hase eilte sie durch den Park und plapperte über die Künste des Hofgärtners Fintelmann, während die Schwestern in stummer Übereinstimmung hinter ihr zurückfielen.
Zwischen Helenes Brauen hielt eine steile Falte Stellung, die sich seit ihrem Aufbruch aus Berlin dort befand.
»Elsa?«, flüsterte sie unvermittelt.
»Ja?«
»Wenn wir zurück an Land sind, musst du mir sagen, wer deine Schwangerschaft beendet hat.«
»Warum kommst du ausgerechnet jetzt darauf zu sprechen?«, gab Elsa flüsternd zurück.
»Ich muss es wissen.«
»Warum?«
Helene zögerte.
»Kommen Sie, meine Damen?«, rief Fräulein von Helmer fröhlich. »Ich darf Ihnen versichern, es ist nicht mehr weit. Gleich haben wir es geschafft. Hören Sie das? Ich glaube, das sind die bengalischen Hirsche. Der Hofjäger sagt, sie seien in der Brunft. Oh, es muss ein göttliches Naturschauspiel sein, wenn diese großen Tiere durch den Wald stürmen, um Eindringlinge abzuschrecken. Ich hoffe, es einmal beobachten zu können.«
»Wirst du es mir sagen?«
Helene war stehen geblieben, und Elsa befand sich in der Bredouille.
»Wirst du?«, fragte sie. »Ich muss wissen, wie es vor sich ging, von Anbeginn.«
Elsas Gedanken rasten. Es war ihr unmöglich, Helene eine Erpressung zu unterstellen. Doch was, wenn sie sich im letzten Moment verweigern würde? Dergleichen war ihr unbedingt zuzutrauen.
Hinter der Fontäne hörte sie Hermine von Helmer energisch hüsteln.
»Ich habe mich verpflichtet zu schweigen«, flüsterte Elsa. »Bitte komm weiter.«
»Jemand«, sagte Helene, »wendet die Methode unseres Vaters an, Elsa. Ich vermute, es ist ein Mann, der Frauen in deiner Lage benutzt, um sich auf eigene Faust zu unterrichten. Wir hatten eine Frau in der Charité, die daran gestorben ist. An wen hast du dich gewandt, als du zurückkamst nach Berlin? Ich muss es wissen.«
»Wenn ich dir jetzt einen Handel vorschlage, dann tue ich es, weil ich nicht anders kann - wirst du mir das glauben?«
Elsa hakte Helene unter und zog sie mit sich.
»Hilf dieser Frau, deretwegen wir heute hier sind«, sagte sie. »Dann werde ich dir sagen, was ich kann, ohne selbst in Gefahr zu geraten.«
Das Kavaliershaus, das zuweilen Hofbeamten und Gästen zur Unterkunft diente, war derzeit allein von Gärtnern, Fasanjägern und Tierwärtern bewohnt. Fräulein von Helmer bat Elsa, in der Eingangshalle zu warten, und stieg mit Helene die Stufen zum kleineren der beiden Türme hinauf, die den Mittelteil des Gebäudes einfassten. Sie klopfte an eine Tür und öffnete sie, ohne ein Zeichen abzuwarten.
»Bitte treten Sie ein, Mademoiselle. Ich mache mit Ihrer Schwester einen Spaziergang zu den Gehegen.«
Helenes Augen brauchten einen Moment, um sich an das diffuse Halbdunkel zu gewöhnen.
»Werden Sie Licht benötigen?«
Die Stimme klang verschüchtert wie die eines Kindes. Aus den Schatten löste sich die Silhouette einer Frau. Sie war tief verschleiert.
»Ich bin auf meinen Tastsinn angewiesen«, sagte Helene. »Wir werden ohne Licht auskommen können, allerdings nicht ohne ein Möbel, auf dem Sie eine liegende Position einnehmen können, es sei denn, Sie wünschen, dass ich die Untersuchung auf dem Boden vornehme.«
»Verzeihen Sie, aber ich kenne mich in diesen Dingen nicht aus. Hier gibt es eine Ottomane. Wird das gehen?«
»Selbstverständlich.«
Ihr Kleid raschelte, es war vermutlich aus Seide, eine kostspielige Robe wie die Elsas. Vor den Fenstern, in schmalen Spalten zwischen den Samtportieren, deren Farbe Helene nicht auszumachen vermochte, tanzte flirrend der Staub. Das ganze Zimmer war ein einziger Schattenriss.
»Ich danke Ihnen, dass Sie gekommen sind. Mir ist bewusst, dass Sie nicht den geringsten Anlass dazu hatten.«
Helene konnte die Hilflosigkeit der fremden Frau spüren und gleichzeitig ihre ganze Würde. Möglicherweise gab dies den Ausschlag für den späteren Entschluss, ihr zu
Weitere Kostenlose Bücher