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Wiegenlied Roman

Titel: Wiegenlied Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Cantz
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geringste Andeutung machte. Möglicherweise würde es nötig sein, sich ein wenig von ihm zurückzuziehen.
    »Ist Ihnen nicht gut, Demoiselle?«
    Das Dienstmädchen blieb knicksend in der Tür stehen. Manchmal, so wie jetzt, stellte Elsa einen aufreizenden Mangel an Empathie bei ihr fest, doch sie war eine unverzichtbare Hilfe, wenn es um die schnelle Reparatur eines Kleides
ging, das Pudern einer Perücke im allerletzten Moment oder das Auskleiden mitten in der Nacht. Und niemand wusste ihre Glacéhandschuhe so sorgsam in heißer Milch, Zitronensaft und Seife zu waschen wie sie.
    »Du musst mir die Füße massieren, Eveline, ich komme sonst um vor Schmerzen.«
    »Aber das ist ausgeschlossen, Demoiselle. Madame verlangt das Frühstück heute en chambre , ich muss noch drei Öfen einheizen, und wenn Demoiselle wünschen, dass ich bis heute Mittag die Achselleder aus dem Atlaskleid trenne und frische hineinnähe …«
    Matt winkte Elsa ab. Sie fühlte sich ebenso elend, wie sie zu wirken beabsichtigte. Die Erwähnung des Atlaskleides machte alles nur noch schlimmer.
    »Wird es dir möglich sein, mir mein Frühstück bringen zu lassen, oder reicht deine Zeit dafür auch nicht?«, fragte sie.
    »Ich tue, was ich kann, Demoiselle.« Eveline ließ sich von der ersterbenden Stimme Elsas nicht beeindrucken und ging. Doch sie schickte den Hausburschen, um Holz im Kachelofen nachzulegen, denn das Personal der Madame Stopfkuchen hatte Anweisung, Elsas Zimmer, das über drei große Fenster verfügte, in einer beständigen Wärme zu halten, die es ihr erlaubte, im seidenen Morgenmantel umherzugehen und ihre Atemübungen zu machen, ohne sich den empfindlichen Hals zu verkühlen.
    Ungeduldig nahm Elsa ihre silberne Haarbürste vom Toilettentisch und drehte sie in den Händen, bis der Hausknecht mit hochrotem Kopf wieder aus der Tür stolperte. Dann erst begann sie mit festen Strichen ihre blonden Locken zu bürsten, denn ihr dabei zuzusehen war ein Privileg, das derzeit allein Baron Moritz von Vredow genoss. Durch die geöffnete
Tapetentür zum Kleiderzimmer musterte Elsa ihre Tages-und Promenadentoiletten, die schillernde Reihe der Abend-und Ballkleider, all jene Schätze, für deren Anschaffung sie eigentlich hätte selbst aufkommen müssen, was bei einer Gage von tausend und einem Garderobengeld von lächerlichen zweihundert Talern ganz und gar ausgeschlossen war.
    Glücklicherweise kamen aus der Manufaktur ihrer Vermieterin, der reichen Witwe Hersilie Stopfkuchen, die begehrtesten Seidenstoffe Berliner Herstellung, und Frau Direktor liebte es, Elsa damit auszustatten.
    »Wenn Sie nur schön sind, mein Kind, dann kann ich auf diese Weise Seiner Majestät eine Freude bereiten, dem armen Mann.« Niemals würde Hersilie Stopfkuchen aufhören, Wilhelm III. einen armen Mann zu nennen. Sie gehörte zu jenen Berlinerinnen, die gemeinsam mit ihm, wie sie meinten, Luise für seine einzige, ewige Liebe hielten, auch wenn nun schon vierzehn Jahre vergangen waren, seit die Königin - tragischerweise viel zu jung - verstorben war. Es waren in der Mehrzahl Frauen, die in dieser Hinsicht ewig gestrig blieben, Frauen, die sich im Alter des Königs befanden, die fünfzig also überschritten hatten, und die, soweit es ihnen möglich war, die Tatsache ignorierten, dass Seine Majestät eine zweite Ehe geschlossen hatte.
    Elsa beobachtete Wesensart und Stimmungen des Königs sachlich wie ein Meteorologe das Wetter. Sie kannte seine Vorlieben, wusste, was ihn erheiterte, ermüdete oder gar verärgern konnte. Täglich hatte sie Gelegenheit, ihn zu studieren. Selbstverständlich musste sie abwarten, dass er sie ansprach, doch das zu erreichen gelang ihr mühelos.
    Allerdings blieb auch Elsa nicht von der Erfahrung verschont, dass mit dem König nur schwer über Anschaffungen
zu reden war. Ihre Verhandlungsversuche wegen neuer Theaterkostüme hatten ihn zwar köstlich amüsiert, waren jedoch bislang ergebnislos geblieben. Sie musste, ob sie nun wollte oder nicht, die Kleider ihrer Vorgängerinnen tragen. Das perlenbestickte Atlaskleid war eines von ihnen.
    Es brachte Elsa zur Verzweiflung, dass sie in einem Brautkostüm mit vielmals herausgelassenen und neu eingefassten Nähten auf die Bühne musste. Es ließ sie mitunter alle Dankbarkeit darüber vergessen, dass man Madame Stich, die immer noch einzige Erste Liebhaberin der Berliner Hofbühne, zu einem Gastspiel am russischen Hof hatte reisen lassen und ihr auf diese Weise die Rolle des Käthchen von

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