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Wiegenlied Roman

Titel: Wiegenlied Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Cantz
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nicht verstehen, was ich mit den Herren hier rede«, sagte Clemens freundlich. »Entschließen Sie sich zu glauben, dass dies nur gut für Sie ist.«
    Vorsichtshalber ließ er ihr von Novak eine Gabe magnesium sulphuricum geben.
    Caroline Kittel befand sich im achten Mondmonat, was bedeutete, dass die Sprengung der Eihäute nicht das geeignete Mittel war, um eine Frühgeburt auszulösen, sondern sich die Einbringung eines Pressschwamms zur Dehnung des vollständig geschlossenen Muttermundes empfahl.
    Das Instrument, dessen Clemens sich bedienen würde, war von ihm im Laufe seiner Praxis in vielen Schritten stetig weiterentwickelt worden, um bei den Schwangeren Furcht und schmerzhafte Empfindungen ebenso gering zu halten wie die Verletzungsgefahr ihrer sensiblen Organe.
    Den konisch geformten, von Helene mit Schweinefett präparierten Schwamm, den man mit zwei Zoll Länge und drei Linien Durchmesser der Anatomie Caroline Kittels angepasst hatte, nahm er von Doktor Novak entgegen. Nach eingehender Demonstration forderte er die Studenten auf, den jeweils linken Zeigefinger in die Frau einzuführen, bis sie ihm repetieren konnten, dass sie die Vaginalportio erfühlten.
    Helene ließ für einen Moment die schweißnasse Hand der Frau los und beugte sich über sie, um ihr die Stirn und
Schläfen mit etwas Rosenöl einzureiben. Tatsächlich hatte Elsa sie auf diese Idee gebracht, die ihr vor Kurzem einmal sagte, dass in hochnervösen Momenten des Lampenfiebers sie nichts besser beruhigen konnte als ein schöner Duft.
    Hier sollte es nun allein darum gehen, Caroline Kittel keinesfalls jenes zangenähnliche Instrument sehen zu lassen, das Clemens, geölt und in heißem Wasser gewärmt, zwischen Fötushüllen und cervix uteri einbringen würde. Helenes Aufgabe, die Frau ruhig zu halten, war insofern unbedingt ernst zu nehmen. Sie atmete auf, als das Instrument seinen Weg in den Muttermund fand und sie von ihr nur ein leichtes Zucken zu spüren bekam.
    Clemens zog die schmale Zange zurück und ließ sich von Novak einen weiteren angefeuchteten Schwamm von der Größe und Form eines Gänseeis reichen, den er auf gleiche Weise in die Vagina einbrachte. Er überließ es Helene und den Studenten, die Schwangere in eine bequeme Rückenlage zu bringen.
    Nach wenigen Stunden (es waren, so vermerkten es die Protokolle, genau fünf Stunden und siebzehn Minuten nach der Applikation) stießen abrupt einsetzende Wehen die Schwämme aus. Die Geburt ging in nur weiteren drei Stunden vor sich.
    Unter unausgesetzt heftigen Wehen gebar Caroline Kittel einen schmächtigen Knaben, der sein Leben zunächst mit keinem einzigen Laut kundzutun gedachte. Ein warmes Bad ließ ihn leichter atmen, und Clemens verordnete, das Kind einer bereits stillenden Frau anzulegen.
    Im Wöchnerinnenzimmer, wo die vom Kindbettfieber verschont Gebliebenen sich hinter sorgsam verschlossenen Türen
befanden, sah Helene im dichten Nebel der Räucherpfannen zu, wie der Mund des winzigen Jungen nach der Brust seiner Amme schnappte. Sie kämpfte den verstörenden Impuls nieder, sich zu bekreuzigen, und wandte sich ab.
    »Bitte, Mutter«, sagte sie lautlos, »gib mir ein Zeichen, dass es richtig ist, was ich tue.«
    Natürlich bekam sie keine Antwort, weder vom Himmel noch sonst irgendwoher. Sie musste sich damit abfinden.

Neun
    NOVEMBER 1828 IN BERLIN
    An sich war Friedo von Trapp kein sehr abergläubischer Mensch. Die Sache mit Celestine und dem Geschäft, das fraglos gut mit ihr zu machen war, stand jedoch auf einem gänzlich anderen Blatt.
    Seltsamerweise hatte mit Sidonie, diesem trotzigen Wesen, eine besondere Art von Leben Perditas Haus verlassen, und noch seltsamer war, dass dies außer ihm durchaus einige andere überraschend empfindsame Charaktere wahrzunehmen schienen. Lula im Besondern, die Sapphischen im Allgemeinen, und Celestine höchstselbst zeigte sich, sofern sie nicht auf professionellste Weise ihre begüterten Freier bediente, nahezu unkenhaft.
    Friedo wollte Sidonie finden, so viel stand fest. Sein ungewohnt strapazierter Herzmuskel pulste ihr zaghaft entgegen, in jedem Moment, den er der Erinnerung an sie widmete. Selten hatte ein Mensch, hatte eine Frau ihn so unschuldig berührt.
    Und was Celestine ihm orakelte, sofern er den Mut fand, sie zu befragen - er wagte es jeden zweiten Tag -, versetzte ihn in Unruhe, dagegen konnte sein bewährter Sarkasmus rein gar nichts ausrichten: Wenn er Celestine fragte, wo Sidonie sich aufhielt, dann geheimnisste sie

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