Wiegenlied Roman
etwas von Mühlen. Armer Friedo. Wie sollte er anders als an Holland denken? Er hatte doch nicht die geringste Ahnung von Berlin
über das hinaus, was an der Königsmauer oder zuweilen im Hotel de Rome Unter den Linden vor sich ging.
Er geriet zunehmend in rastlose Unzufriedenheit. Auch mit der Anmietung einer besseren Wohnung kam er nicht weiter. Man war dem Milieu, das ihm trotz seiner Galanterie und guter Anzüge offenbar anzusehen war, derzeit schlichtweg wenig gewogen. Daran hatten die Polizeipatrouillen in den Bordellvierteln ihren Anteil und nicht zuletzt die schauerlichen Metzeleien an den Mädchen - eine Ungeheuerlichkeit, mit der Friedo sich nicht beschäftigen wollte. Überdies hing Perdita wie eine Klette an ihm, schnurrend und klagend, fordernd vor allem, was sie als ihr gutes Recht empfand. Der einzige Triumph, den sie unter dem Eindruck ihrer erbarmungslos verblühenden Reize empfinden mochte (so vermutete Friedo vollkommen richtig), war das Hinzählen des Geldes, was sie in einem immer absurderen Zeremoniell ausschließlich im Bett vornahm. Er konnte das zunehmend schlecht aushalten, denn er mochte Perdita und wollte sie weder bemitleiden noch verachten müssen.
Nach dem Körperlichen mit ihr fühlte er sich indessen stets wie gekocht und gänzlich ermattet. Das Geld gab ihm zuweilen den Rest, und er benötigte mindestens drei Stunden im Hotel de Rome , um sich wieder wie ein Mann von Format zu fühlen.
Der getäfelte Speisesaal, in dem er seinen Kaffee einnahm, die Tische mit den leuchtend weißen Damastdecken, das Funkeln der kristallenen Wand- und Kronleuchter und die mannshohen Spiegel mit den vergoldeten Rahmen taten Friedos angegriffenem Gemüt fast ebenso gut wie seine neuen Pantalons mit dem paspelierten Samt-Spencer aus London. Auch sein spanisches Duftwasser hatte er überdacht und
gegen ein schlichtes Eau de Cologne ersetzt. Seitdem zog niemand mehr im Hotel de Rome die Nase kraus, wenn er vorüberging.
Er entzündete einen Zigarillo und ließ die ersten Rauchschwaden gemächlich vor sich aufsteigen, um beiläufig die Damen im Saal zu betrachten, die ihm wie geschlechtslose Wesen vorkamen. Zweifellos anmutige Geschöpfe. Mit ihren aus den schlanken Nacken gekämmten Frisuren, den weißen Schultern unter den langen Spitzenschals und dem virtuosen Einsatz ihrer duftigen Fächer waren sie graziöse Begleiterscheinungen ihrer Männer, silbern und seidig, unbedingt anbetungswürdig. Keine von ihnen würde ihn jemals persönlich reizen können, und er glaubte zu verstehen, warum es so manchen der hier auftretenden Herren nächtens in die Berliner Bordelle zog.
Frauen von Fleisch und Blut, die sie der Kunst ihrer Verführung unterwarfen, mussten diese als echten Genuss empfinden. Raffinesse musste dabei nicht unbedingt eine Rolle spielen. Weniger die Verworfenheit als eine unumwundene Offenleibigkeit machten eine gute Hure ebenso wie eine begnadete Mätresse aus.
Friedo meinte das zu wissen.
Mit sicherer Hand würde er die richtigen Mädchen aussuchen. Celestine und Sidonie konnten ein bescheidener, doch respektabler Anfang sein. Im Stillen wünschte er sich Sidonies Kostbarkeiten auf Dauer sehr privat erfahren zu wollen, doch war er nur betrunken in der Lage, sich dies einzugestehen. Wenn erst die richtige Wohnung in der richtigen Straße angemietet war, elegant, in bester Nachbarschaft und daher ohne Bedenken von Herren der Gesellschaft anzusteuern, dann kämen die Hochkarätigen des
Gewerbes von allein, um bei ihm, Friedo von Trapp, vorzusprechen.
In all den verstrichenen Tagen, die er im Speisesaal des Hotel de Rome seinem Traum von der haute cocotterie nachgehangen war, hatten die gepflegten Konversationen der Mitgäste stetig die fiebrige Stimmung eines bevorstehenden Ereignisses an seinen Fensternischentisch gespült. Wegen eines italienischen Geigers namens Paganini, der ein Konzert im Königlichen Opernhaus geben sollte, geriet die ganze Stadt in zunehmenden Aufruhr.
Friedo orderte ein Glas Jamaika-Rum zu einer dritten Portion Kaffee und schlug Die Vossische auf. Eine Begebenheit wie das Paganini-Konzert würde in einer Stadt wie Berlin die edlen Bordelle füllen, sobald die Herren ihre Damen in die Geigenklänge eines champagnertrunkenen Schlafes entlassen hatten. Doch ihm fehlte alles, um aus der zu erwartenden Gunst jener kommenden Stunden Gewinn zu schlagen. Mit Perdita im Schlepptau war das nicht zu machen, aber da es ihr Geld war, das er zu benötigen glaubte, konnte er
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