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Wiener Requiem

Wiener Requiem

Titel: Wiener Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Jones
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Holzpfählen gestützt, und die Springbrunnen, die schon vor zehn Jahren hätten fertig sein sollen, hatten gerade erst begonnen, Wasser zu speien. Sie machten in einem kleinen Gasthaus hinter der finsteren Silhouette des Rathauses Rast und aßen ein einfaches Mahl. Eine Portion geräucherten Schinken mit Sauerkraut, die sie mit steirischem Bier hinunterspülten, dem besten Bier Österreichs. Sie saßen im Garten des Gasthauses unter einer mächtigen Kastanie, und Werthen fiel wieder ein, dass er hier im vergangenen Jahr öfters eingekehrt war, als er seinen Freund Klimt besuchte, der damals im Landl in Haft war.
    Gross hielt sich bedeckt, was seine Gründe für diese Befragung Schreiers anging, und Werthen drängte ihn nicht. Er genoss einfach nur das Nachtmahl und hoffte, dass sie heute nicht wieder erst so spät nach Hause zurückkehrten. Vielleicht sollte er schnell Berthe anrufen. Aber sie wusste ja, wie schwierig es war, eine öffentliche Telefonzelle zu finden.
    Gross beendete sein Mahl als Erster, betupfte seine Lippen mit der Baumwollserviette und kramte etwas Kleingeld hervor; sehr viel weniger, als seinem Anteil an der Rechnung entsprochen hätte. Dann verschwand er, ohne ein Wort zu sagen. Werthenkonnte nur schnell den letzten Bissen hinunterschlingen und sich um die Bezahlung kümmern.
    Das war der Gross, den Werthen kannte und akzeptierte. Während dieser Untersuchung hatte es eine Zeit gegeben, da schien der große Kriminologe ins Schwimmen zu geraten, zu zaudern, jetzt aber schritt er wieder aus wie ein Mann mit einem klaren Ziel.
    »Ich könnte schwören, dass er jetzt seinen ersten Fehler begangen hat«, sagte Gross, als sie in den Vorraum traten und dem Gendarm ihre Namen nannten, der sie daraufhin in den Zellenbereich führte.
    Schreier war im Block B untergebracht, der für die Mordverdächtigen reserviert war. Es gab noch einen zweiten Häftling in seiner Zelle, einen drahtigen Mann mit einer Tätowierung im Nacken. Werthen erkannte das Zeichen: Es war das indische Zeichen für die Macht und die Sonne, die Swastika. Aber dieser Kriminelle hatte eine spiegelverkehrte Version des Symbols auf dem Hals tätowiert. Aus dem links drehenden Rad des Lebens war ein rechts drehendes geworden, das Symbol des deutschen Nationalismus und Antisemitismus. Werthen konnte nur spekulieren, für welches Verbrechen dieser Ganove in Haft war, aber nach Schreiers verängstigten Blicken zu urteilen, als der Mann aus der Zelle geführt wurde, damit sie ungestört wären, musste es etwas wirklich Übles sein. Es war gut möglich, dass Drechsler die beiden zusammengesteckt hatte, um Schreier schneller zu einem Geständnis zu bewegen. Ein zu Tode erschrockener Mann ist nun einmal sehr viel leichter zu übertölpeln als einer, der es bequem hat und sich sicher fühlt.
    »Dr. Gross«, sagte Schreier in einer hohen, bittenden Stimme, sobald sie in der Zelle allein waren, »Sie müssen mich retten.Ich bin völlig unschuldig. Warum hat man mich hier mit diesem Ungeheuer zusammen eingesperrt? Er hat mir erzählt, dass er seine Cousine erwürgt hat, weil sie eine sexuelle Beziehung zu einem Juden hatte. Und er hält mich für einen Juden.«
    Werthen konnten die Angst förmlich riechen, die aus Schreiers Poren drang. Er war ein untersetzter Mann in den Vierzigern. Die Rechnung Drechslers jedenfalls schien aufzugehen.
    »Beruhigen Sie sich, Herr Schreier«, sagte Gross. Er klopfte dem Mann auf die Schulter, und Schreier setzte sich auf die Kante seiner eisernen Pritsche. Sie nahmen auf der gegenüberliegenden Pritsche des anderen Häftlings Platz, nachdem Werthen das Betttuch mit einem kurzen Blick gemustert hatte. Es krabbelte dort nichts Unerwünschtes herum. Gross stellte Werthen kurz vor, aber Schreier konzentrierte sich ausschließlich auf den Kriminologen.
    »Sie müssen es ihnen sagen, Dr. Gross.« Schreier flehte geradezu. »Ich habe nichts Unrechtes getan. Er hat nach mir geschickt. Es ist die heilige Wahrheit.«
    »Er?«, fragte Gross.
    »Mahler, natürlich. Er schrieb, dass er sich mit mir einigen wollte. Ich wusste ja, dass er früher oder später nachgeben würde. Die Sänger sind unerbittlich. Ohne uns können sie nicht überleben. Wie weiß das Publikum denn sonst, wann es klatschen soll, wenn wir nicht mit dem Applaus beginnen?«
    »Wo ist der Brief?«
    »Ich habe ihn verbrannt, so wie Mahler es verlangte.«
    »Ich kann Ihnen nicht helfen, wenn Sie weiterhin lügen«, sagte Gross ruhig. »Sie wissen, dass Sie hier

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