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Wiener Requiem

Wiener Requiem

Titel: Wiener Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Jones
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benahm sich sehr zurückhaltend, als sei er bescheiden, vielleicht auch schüchtern. Aber als er Ihnen dann folgte, war mir klar, dass beides nicht zutraf. Eher wie ein Habicht, der seine Beute jagt, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
    »Ich verstehe Sie, Herr Otto«, antwortete Werthen. »Und vielen Dank.«
    Herr Otto hatte gerade eine sehr treffende Beschreibung von Wilhelm Tor gegeben.
    »Sie sprachen von ›einigem‹«, sagte Werthen, der schon im Begriff war zu gehen.
    Herr Otto nickte. »Ganz recht. In der letzten Woche habe ich Ihnen doch von einem Gespräch zwischen Herrn Hanslick und seinem Freund Herrn Kalbeck erzählt.«
    »›Wie Pech und Schwefel‹ sagten Sie über die beiden, wenn ich mich recht entsinne.«
    Herr Otto errötete. »Nun, das war vielleicht etwas sehr melodramatisch ausgedrückt. Gestern jedenfalls habe ich ein Gespräch zwischen den beiden mit angehört, das viel erklärt.«
    Er sah Werthen verlegen an. »Sie redeten recht laut. Ich bin kein Schnüffler.«
    »Das würde ich auch niemals annehmen.«
    »Also, offenbar hatten die beiden viel Geld in eine Goldmine in Südamerika gesteckt und gerade erfahren, dass es sich dabei nur um einen riesigen Schwindel handelte. Sie haben wohl ihr Geld und auch ihre Selbstachtung verloren, so wie es sich anhörte. In der letzten Woche hatten sie Wind von dem möglichen Problem bekommen. Darum ging wahrscheinlich in ihrem Gespräch.«
    »Also waren sie wohl keine Diebe«, sagte Werthen. »Son dern eher selbst Opfer.«

17. KAPITEL
    Der abscheuliche Gestank traf sie wie ein Schlag, als sie die Tür zu Werthens Kanzlei öffneten. Es war, als hätte ein Stinktier alles mit seinem Sekret überzogen. Beide Männer reagierten instinktiv darauf. Werthen presste die Hände auf Mund und Nase, während Gross in seiner Jacke nach einem Taschentuch suchte, um seine Nase zu bedecken.
    Sie blieben im Flur stehen und konnten Tor nirgends sehen, doch dann entdeckte Werthen ein Paar Stiefel, das hinter dem Schreibtisch hervorragte.
    Wilhelm Tor war offenbar nicht gerade auf eine angenehme Weise gestorben. Sein Mund war in einem verzerrten Ausdruck des Schmerzes erstarrt. Grüne Galle und Erbrochenes waren über seine Weste verteilt. Ein widerlicher Fäkaliengeruch strömte unter seinem Körper hervor. Er hatte sich im Tode entleert und einen großen Fleck auf dem Parkett hinterlassen.
    Gross fing sich allmählich, ignorierte den Geruch und die grausige Szene, kniete sich hin und legte einen Finger auf Tors Hauptschlagader. Dann beugte er sich über den weit offenstehenden Mund des Mannes und atmete tief ein.
    »Eine Arsenvergiftung«, sagte er, stand auf und wischte sich die Hände an der Hose ab. »Es ist der unverkennbare Geruch nach Knoblauch.«
    Sie untersuchten eilig Tors Schreibtisch und entdeckten eine kleine Schachtel, die unter einem Stapel Papiere hervorlugte.Werthen hob den Stapel zur Seite und sah nun die Schachtel mit der puderzuckerbestreuten türkischen Nascherei, Lokum.
    »Heißt das, was ich glaube, dass es heißt?«, fragte er.
    »Es scheint jedenfalls ganz so«, meinte Gross. »Welch hinreißende Ironie; Herr Tor hat es geschafft, sich mit seiner eigenen Kreation zu vergiften. Er muss wohl die Vergifteten mit den Unbearbeiteten verwechselt haben, als ihn der Hunger auf etwas Süßes überkam.« In seinen Worten schwang ein gewisses Maß an Schadenfreude mit.
    »Aber das ist doch absurd«, widersprach Werthen. »All unsere Arbeit, unsere Ermittlungen, und dann bringt sich der Täter versehentlich selbst um?«
    »Er war eben kein großer Stratege. Denken Sie doch nur an all die fehlgeschlagenen Versuche, Mahler zu töten. Nein, ich empfinde diesen Abschluss seiner miserablen kriminellen Karriere als überaus passend.«
    Gross beugte sich nochmals über den Mann, durchsuchte seine Taschen und zog ein abgewetztes ledernes Notizbuch mit einer Geldbörse hervor.
    »Und was ist mit seinem Komplizen?«, sagte Werthen, denn sie waren schließlich beide der Ansicht, dass Tor bei den früheren Mordversuchen einen Komplizen innerhalb der Oper gehabt haben musste. »Vielleicht hat dieser Komplize ja auch Tor getötet, um sich selbst zu retten, als er merkte, dass wir näher kommen.«
    Gross hörte jedoch gar nicht hin, weil er viel zu sehr mit der Durchsicht des ledernen Notizbuches beschäftigt war.
    »Dieser Name kommt mir bekannt vor«, erklärte Gross und hielt das Notizbuch Werthen hinüber. Mit dem dicken Zeigefinger deutete er auf einen Namen und eine

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