Wiener Requiem
Oberkellner, begrüßte ihn in gewohnt freundlicher Weise und brachte ihm, ohne zu fragen, einen Mokka.
Werthen konnte sich nicht zurückhalten und platzte gleich mit seinem Verdacht gegen Tor heraus.
Gross nickte nur. »In diese Richtung habe ich auch bereits überlegt. Die Entdeckung des Vornamens ›Wilhelm‹ hat den Ausschlag gegeben. Wie auch die Umkehrung seines Familiennamens, aus Rott wurde Tor. Kriminelle neigen dazu, ihre Decknamen aus ihren wirklichen Namen abzuleiten, um sich nicht selbst zu verwirren.«
Werthen spürte, wie die Spannung in ihm wuchs, bis er sie fast mit den Händen zu greifen können glaubte.
»Dann wäre also Tor der lang gesuchte Bruder von Hans Rott, der Rache verübte für die vermeintlichen Plagiate Mahlers an seinem Bruder. Das Alter stimmt ungefähr, und Mahler hatte gehört, dass dieser Bruder nach Amerika gegangen sein sollte. Tor war einige Zeit in Amerika, wie er Berthe berichtet hat. Mein Gott, Gross, er hatte auch ausreichend Gelegenheit. Er war immer zugegen, wenn auf dem Land eine Attacke auf Mahler verübt wurde. Sowohl vor dem Fahrradunfall als auch vor der Vergiftung.«
Werthen dachte einen Augenblick nach. »Aber wie könnte er auch für die Vorfälle in der Hofoper verantwortlich gewesen sein?«
»An dieser Stelle kommt unsere Theorie von einem Komplizenins Spiel«, erwiderte Gross. »Tor – oder Rott – hat einen Helfer in der Hofoper. Wir können nicht davon ausgehen, dass er selbst Zugang zum Bühnenraum hatte. Wenn doch, wäre ein Fremder dort jedenfalls nicht lange unbemerkt geblieben.«
»Und wie steht es mit Gunther und dieser Frau Paulus?«
Gross rührte seinen Kaffee um. »Entweder haben Tor oder sein Komplize diese Morde begangen.«
»Ich kann mir Tor nur schwer in der Rolle eines Mörders vorstellen«, erwiderte Werthen. Er erinnerte sich an die Schüchternheit und die Zurückhaltung des Mannes, der ein fast hilfloses Wesen zu besitzen schien.
»Jeder kann sein Verhalten und sein Äußeres ebenso leicht ändern wie seinen Namen«, meinte Gross. »Sanftmut ist die beste Tarnung für jemanden, der genug Wut in sich hat, um mehrfach zu töten.«
Gross hatte noch einen Einfall. »Vielleicht sollten wir Frau Ignatz noch einmal befragen. Ich erinnere mich an ihre Aussage, wonach sie am Tag des Überfalls keinen Fremden im Gebäude gesehen hat. Wenn ich dies wörtlich verstehe, bliebe also die Möglichkeit, dass sie Tor gesehen hat. Schließlich ist er kein Fremder für sie. Sollte Tor also Rott sein, erklärt das noch etwas anderes, was mich an dem Überfall auf Sie gestört hat.«
Werthen wollte gerade fragen, was er damit meinte, aber das war überflüssig. Gross war nun nicht mehr zu bremsen.
»Die verschlossene Tür Ihres Büros; bisher sind wir von einem ungewöhnlichen Verhalten eines Einbrechers ausgegangen, aber genauso könnte die geschlossene Tür auf die Gewohnheit eines Angestellten zurückgehen.«
»Wie konnte ich nur so blind sein?«, brach es aus Werthen heraus.
»Schelten Sie sich nicht, mein Freund«, beruhigte Gross ihn. »Ich habe ihn auch nicht durchschaut. Außerdem ist das bis jetzt auch nur Theorie. Wir haben keine sicheren Beweise. Allerdings weiß ich, wie wir diese finden könnten, und zwar ohne Ihre impertinente ›Concierge‹ noch einmal zu befragen.«
»Seine Handschrift«, sagte Werthen. »Die verräterischen Schmierflecken. Wir haben mehrere Stapel seiner handgeschriebenen Dokumente im Büro.«
Sie bezahlten rasch und wollten schon zur Tür hinausstürmen, als Herr Otto Werthen für einen Moment aufhielt.
»Es gibt da einiges, das Sie vielleicht wissen sollten, Herr Advokat. Als Sie in der letzten Woche das Kaffeehaus verließen, ist Ihnen ein Mann gefolgt.«
»Mir ist jemand gefolgt?«
»Ja, er stand dort an der Ecke. Ich habe ihn bemerkt, weil er während Ihres ganzen Gespräches mit Herrn Hanslick dort gewartet hatte. Er tat, als betrachtete er die Auslagen des Hutmachers, aber von Zeit zu Zeit sah er kurz durch die Fenster unseres Kaffeehauses. Als Sie gingen, verhüllte er sorgfältig sein Gesicht vor Ihnen, als fürchtete er, dass Sie ihn sonst erkennen könnten. Nachdem Sie eine Straße weitergegangen waren, ging er Ihnen nach und hatte seinen Bowler tief in die Stirn gezogen.«
»Mein Gott, Herr Otto, Sie würden selbst ein guter Privatdetektiv sein. Können Sie mir den Kerl beschreiben?«
»O ja, mein Herr. Größer als der Durchschnitt und ein bisschen dick. Seine Nase war eher rund als schmal. Er
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