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Wiener Requiem

Wiener Requiem

Titel: Wiener Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Jones
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entwickelt, der zufolge sich Mahler nicht allein eines Musikplagiats schuldig gemacht hatte, sondern damit auch für den Wahnsinn und den Tod seines Bruders im Irrenhaus verantwortlich war. Da der ältere Bruder ins Irrenhaus eingeliefert wurde und dort verstarb, war Wilhelm gezwungen gewesen, für sich selbst zu sorgen. Vermutlich ein weiterer Grund seiner Verbitterung Mahler gegenüber.
    Wie lange schon hatte er seinen Hass genährt? Darüber wusste man nichts. Immerhin jedoch hatte Wilhelm zumindest versucht, sich sein eigenes Leben zu schaffen, denn sein akademischer Abschluss als Jurist war nicht gefälscht. Werthen vermutete, Tor habe sich im Frühsommer entschlossen, Mahler zu töten und den Bühnenarbeiter der Hofoper Redl angeheuert, um ihm bei diesem Unternehmen zu helfen. Wie jedoch hatte die beiden sich kennengelernt? Falls es Drechsler nicht gelang, diesen Mann zu finden, würden sie nie etwas Genaues über ihr Zusammenwirken erfahren. Sie könnten nicht wirklich wissen, ob die beiden den Tod Fräulein Kaspars herbeigeführt hatten. Und was war mit Herrn Gunther? Er musste etwas von seinem Platz im Orchestergraben aus gesehen haben. Vielleicht hatte er sich später an Redl herangemacht und ihm damit gedroht, alles zu verraten. Vielleicht hat er wirklich beobachten können, dass der Fall des Feuervorhangs kein Unfall, sondern die Folge eines heimtückischen Anschlags gewesen war. Gunther hatte in ärmlichen Verhältnissen gelebt und vielleicht gehofft, sich durch Erpressung einen finanziellen Vorteil zu verschaffen.
    Wie immer es nun gewesen war, Gunther hatte auf jeden Fall mit dem Leben bezahlt. War es aber Redl oder Rott, alias Wilhelm Tor, der die Tat begangen hatte? Auch diese Frage würde unbeantwortet bleiben. Und dann war da noch die Anzeige Berthes, in der sie nach einem juristischen Mitarbeiter suchte. Damit hatte Rott-Tor nicht rechnen können, aber zu dieser Zeit musste er schon von Werthens Ermittlungen gewusst haben. Für Tor muss diese Anzeige wie gerufen gekommen sein, denn sie brachte ihn in direkten Kontakt zu Mahler. So war es ihm möglich, die Bremsen des Fahrrades zu manipulierenund, als dieser Versuch fehlschlug, das Lokum mit Arsen zu präparieren.
    Doch was war mit dem anonymen Brief, in dem von der Ermordung der großen Komponisten Wiens die Rede war? Werthen wusste, dass Tor als Mitarbeiter der Kanzlei in etliche Vorgänge eingeweiht gewesen war. Plötzlich erinnerte er sich wieder an den Tag, an dem er die Liste der Verdächtigen zusammengestellt hatte und Tor ins Büro gekommen war, um ihm einige Dokumente zu bringen. Hatte der Mann sich nicht recht lange in der Nähe des Schreibtisches herumgedrückt? Hatte er sehen können, dass Werthen eine Spalte mit Verdächtigen aus Mahlers Jugend angefügt hatte, und daher gewusst, dass die Ermittlung in eine neue und damit für Tor gefährliche Richtung wies?
    So wird es wahrscheinlich gewesen sein, sagte sich Werthen. Tor hatte gewusst, dass es nach der Entdeckung der Angelegenheit mit Hans Rott nur noch eine Frage der Zeit sein würde, bis ihr Verdacht sie zu dem jüngeren Bruder Rotts, also Tor selbst führen würde. Deshalb hatte er diese falsche Spur für sie gelegt, der sie dann auch eine Weile begeistert gefolgt waren. Die Suche nach jemandem, der angeblich Bruckner, Brahms und Strauß nach dem Leben getrachtet hatte und sogar einen Anschlag auf Zemlinsky unternommen hatte. Während dieser Zeit konnte Tor unbehelligt weitere Versuche unternehmen, Mahler zu töten. Das war wirklich nicht gerade eine unserer Sternstunden, dachte Werthen, als sie durch den Volksgarten gingen und die breite Ringstraße erreichten.
    Nicht zu vergessen das unglückliche Fräulein Paulus, die Prostituierte, die in ihrer Mansarde niedergemetzelt worden war. Ganz sicher hatte Tor Werthens Unterhaltung mit Drechslerim Büro belauscht und wusste, dass er in Kürze identifiziert werden würde. Dieser letzte Akt von extremer Brutalität sprach für die Tat eines gequälten Geistes. Man konnte wirklich nur froh darüber sein, dass Tors Leben und somit auch die Serie böser Taten ein Ende gefunden hatte.
    Warum also, fragte sich Werthen, bin ich immer noch so beunruhigt?
    »Kopf hoch, Werthen«, meinte Gross, als sie einen eiligen Fiaker vorbeiließen und dann den Ring überquerten. »Ihre Gattin wird mit unserer Leistung bestimmt zufrieden sein. Und ich für meinen Teil freue mich schon darauf, Herrn Meisner von den letzten Minuten unseres Wilhelm Tors zu

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