Wiener Requiem
erzählen.«
Als sie zehn Minuten später in ihrer Wohnung in der Josefstädterstraße ankamen, ließ Frau Blatschky sie wissen, dass Berthe und ihr Vater Herr Meisner vor wenigen Minuten in die Hofoper aufgebrochen waren.
Die Wirtin sah Werthen verärgert an. »Ich habe versucht, sie zur Vernunft zu bringen. Eine Frau in ihren Umständen sollte nicht in die Öffentlichkeit gehen oder gar in die Oper! Aber dieser Vater! Und dann diese Schindler! Die beiden haben sie gemeinsam überredet.« Zum Ausdruck ihres Missfallens schnalzte sie mit der Zunge.
»Ich bin sicher, dass schon alles gutgehen wird«, antwortete Werthen. Er war allerdings ein wenig enttäuscht, weil er seine Frau nicht antraf.
Gross’ Missfallen war jedoch erheblich größer, als er erfuhr, dass Frau Blatschky kein Abendessen vorbereitet hatte.
»Also müssen wir wohl auswärts essen«, verkündete Werthen, der sich Mühe gab, fröhlicher zu wirken, als ihm zumutewar. »Wie sieht’s aus, Gross? Was halten Sie von einem Schnitzel im
Café Frauenhuber
?«
»Da würde ich keinen Einspruch erheben, lieber Freund.«
Nachdem sie sich kurz frischgemacht hatten, klingelte das Telefon. Werthen nahm ab und erfuhr durch Drechsler, dass man Herrn Redl an der angegebenen Adresse im Zwölften Bezirk nicht gefunden hatte. Die Vermieterin hatte ausgesagt, dass er schon vor Wochen ausgezogen sei und nach Bremerhaven wollte, um von dort aus ein Schiff nach Amerika zu erwischen.
»Die Jungs, die auf der Straße vor Mahlers Haus Wache stehen, werden glücklich sein«, setzte Drechsler noch hinzu, bevor er auflegte. »Wir können also endlich die Polizisten, die für Mahlers Schutz eingeteilt waren, abziehen und uns wieder auf Verbrechen konzentrieren, die wirklich verübt worden sind.«
Werthen und Gross fuhren mit einem Fiaker ins Café, und Gross bezahlte die Fahrt. Diese ungewohnte Geste deutete darauf hin, dass es heute Abend auf jeden Fall eine kleine Feier geben würde. Werthen schob seine befremdlichen Gefühle beiseite und ließ sich den Sekt schmecken, den Gross bei Herrn Otto bestellt hatte.
Die Schnitzel, die man ihnen servierte, hatten eine ansehnliche Größe, und der Krautsalat war mit genau der richtigen Menge von Essig und Kümmel gewürzt.
Werthen schickte sich gerade an, in die richtige Feierstimmung zu kommen, als Herr Otto feixend zu ihnen an den Tisch trat.
»Herr Advokat, ich habe mich endlich an das erinnert, was ich Ihnen noch hatte erzählen wollen.«
»Über Hanslicks Südamerika-Debakel?«, erwiderte Werthen fröhlich.
Otto schüttelte den Kopf. »Nein, mein Herr, es geht um den Mann, der Ihnen letzte Woche gefolgt ist.«
»Ah«, sagte Werthen. »Es scheint, als hätte sich diese Angelegenheit erledigt.«
»Wenn dem so ist, möchte ich die Herren nicht weiter stören. Ich hoffe, es wird Ihnen schmecken.«
Aber irgendetwas an Herrn Ottos Gesichtsausdruck erregte Gross’ Neugier.
»Nun sagen Sie schon, Herr Otto. Was ist Ihnen wieder eingefallen?«, hakte der Kriminologe nach.
»Ach, eigentlich ist es nicht wichtig. Es war nur ein Detail in der Beschreibung, das ich beim letzten Mal vergessen hatte.«
Als Werthen hörte, um welches »unwichtige Detail« es sich handelte, erstarrte er plötzlich. Er wechselte einen Blick mit Gross, dessen Miene die gleiche Besorgnis zeigte.
18. KAPITEL
»Das sind ja ganz wunderbare Plätze«, sagte Berthe. »ich freue mich wirklich sehr.«
Fräulein Schindler drückte ihr die Hand. »Ich habe es Ihnen doch gesagt. Sie müssen einfach mehr ausgehen, Frau Meisner.«
»Aber bitte, nennen Sie mich doch Berthe.«
Die jüngere Frau war so entzückt, dass sie sich zu ihr beugte und Berthe einen Kuss auf die Wange drückte.
»Und was ist mit dem armen, älteren Gentleman zu Ihrer Rechten?«, meldete sich Herr Meisner. Alma Schindler saß zwischen ihnen in der dritten Reihe im Parkett.
Alma lehnte sich zu ihm und küsste ihn auch auf die Wange.
»Oh, das wird ein wahres Vergnügen werden!«, erklärte sie begeistert.
Das Orchester begann sich einzustimmen. Sie saßen so dicht an den Musikern, dass sie jedes Instrument einzeln heraushören konnten. Berthe sah sich in dem prunkvollen Saal um, betrachtete all die Männer in ihren Smokings und die Damen in Abendkleidern und den Diademen im Haar. Die meisten hielten sich Operngläser vor die Augen und suchten aufmerksam die Menge nach Freunden und vor allem nach den anwesenden Adeligen ab. Man musste sich beeilen, denn nach den neuen, von
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