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Wiener Requiem

Wiener Requiem

Titel: Wiener Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Jones
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heraufzuarbeiten, nachdem Mahler zum neuen Direktor berufen worden war. Dieser Blauer hat sich wirklich Zeit genommen, er wollte seine Rache genüsslich auskosten und hat deshalb verschiedene makabre Möglichkeiten ausprobiert, um Mahler zu töten, ohnedabei die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Nach Ihrer ersten Begegnung in der Oper, Werthen, sah er in Ihnen einen Widersacher und fühlte sich gezwungen, etwas gegen Sie zu unternehmen. Als er dann Wind davon bekam, dass es in Ihrem Büro zu einem Personalwechsel gekommen war, zögerte er nicht, sich mit dem unglückseligen Tor anzufreunden. Wussten Sie, dass beide in Amerika waren?«
    »Tor hatte mir erzählt, dass er dort einige Zeit gelebt hatte«, warf Berthe ein.
    »Es scheint so, als wäre auch Blauer, oder besser gesagt Wilhelm Karl Rott, über den großen Teich gefahren, um sein Glück zu suchen. Blauer geriet jedoch sehr schnell in einen Sumpf von Spielschulden und landete mitten in den gewalttätigen amerikanischen Straßenbanden. Man hat ihn praktisch gezwungen, den Fußsoldaten für die
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zu spielen, um seine Spielschulden abzuarbeiten. Dort, so scheint es, hat er all seine zweifelhaften Fertigkeiten erworben: den Umgang mit Gift, den Kampf mit dem Messer, und er hat dort auch gelernt, wie man eine Bombe baut. Er hat heute Morgen voller Freude mit seiner Gangsterkarriere geprahlt. Er hat sogar behauptet, er wollte seine Memoiren schreiben. Ich kann nicht sagen, wo in seinen Schilderungen die Grenzen von Dichtung und Wahrheit verlaufen, aber es war jedenfalls eine faszinierende Erzählung.«
    »Hier kann man nur auf biblische Gerechtigkeit hoffen«, meldete sich nun Herr Meisner zu Wort. »Auge um Auge, Zahn um Zahn. Dieser Mann hat sein Recht darauf verwirkt weiterzuleben.«
    Gross wollte sich jedoch nicht von einer Diskussion über eine angemessene Strafe ablenken lassen.
    »Blauer arrangierte ein ›zufälliges‹ Zusammentreffen mit dem wohl sehr einsamen Tor in einem der von ihm frequentierten Gasthäuser. Tor sehnte sich nach Freundschaft, Kameradschaft, nach einem freundlichen Wort von einem anderen Menschen. Es fiel Blauer sehr leicht, dem anderen weiszumachen, er wäre ein wirklicher Freund. Ein Freund, der von der Opernverwaltung und speziell von Mahler verfolgt wurde. Er überzeugte den armen Tor, dass sich alle gegen ihn verschworen hätten, dass man sogar versuchte, ihn mit einer Reihe von Unfällen in Verbindung zu bringen, ja, sich offenbar bemühte, es so darzustellen, als wollte er, Siegfried Blauer, Mahler töten. Blauer ging damit ein erhebliches Risiko ein, denn er erzählte ihm sogar von dem ›Zufall‹, dass er den Geiger, Herrn Gunther, just an dem Tag besucht hätte, an dem dieser später Selbstmord beging. Und nun, beklagte er sich bei Tor, wollte man ihm auch diesen Tod in die Schuhe schieben. Tor hat das alles für bare Münze genommen und ihn kontinuierlich über die Ermittlungen auf dem Laufenden gehalten.«
    »Wie konnte er nur so naiv sein?«, fragte Berthe. Dann erinnerte sie sich an ihr Bewerbungsgespräch mit Tor, an die selbstkritische Art und Weise, in der er von sich gesprochen hatte. Blauer musste diese Leere ausgefüllt haben, die Tor in sich fühlte.
    Gross jedoch akzeptierte keinerlei Abschweifungen. Er fuhr mit seiner Geschichte einfach fort, als habe er Berthes Einwurf gar nicht gehört.
    »Sobald Blauer einen Informanten auf der Seite der Ermittler hatte, konnte er sich daranmachen, den Lauf der Untersuchung zu beeinflussen. Besonders begeistert war er von seinem ›Berühmte Musiker‹-Schachzug, wie er ihn nannte. Wiesie schon vermutet hatten, Werthen, hat Tor in der Tat Ihre Liste der Verdächtigen eingesehen und Blauer davon berichtet. Dieser Halunke wusste daher genau, dass eine Untersuchung der Jugendjahre Mahlers unweigerlich zu Hans Rott führen würde und von dort zu dessen Bruder. Folglich hatte er versucht, uns mit Hilfe des anonymen Briefes auf eine falsche Fährte zu setzen, damit wir die angebliche Ermordung unserer großen Musiker untersuchten.«
    »Dann hatte Tor mit all dem also gar nichts zu tun?«, wollte Herr Meisner wissen, dessen Oberlippe von Puderzucker bestäubt war.
    »Er war nur ein ahnungsloser Komplize«, erwiderte Gross.
    »Welch ein Glück, dass sich Herr Otto doch noch an den Backenbart erinnert hat«, meinte Berthe zu ihrem Ehemann.
    »Allerdings«, bestätigte Werthen. »Das war keine Sekunde zu früh.«
    In der Nacht davor hatte er gemeinsam mit Gross schnell

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