Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wiener Requiem

Wiener Requiem

Titel: Wiener Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Jones
Vom Netzwerk:
»Aber die arme Berthe wird jetzt erst zum zweiten Akt wieder hereingelassen.«
    »Schscht!«, zischte jemand hinter ihnen. Eine Dame in einem paillettenbesetzten Abendkleid forderte sie mit vor Empörung gerötetem Gesicht auf, still zu sein.
     
    Blauer ließ den Mann an der eisernen Stütze vorbeigehen, hinter der er sich verborgen hielt, bevor er handelte.
    »Blauer!«, rief der Mann.
    Blauer presste die linke Hand über den Mund des Mannes und rammte ihm den Dolch nach oben in den Rücken. Er hörte ein Knirschen, als der Dolch in den Körper eindrang, und spürte zwischen den Fingern, wie der Mann heftig ausatmete. Blauer zog das Messer wieder heraus und stach noch drei Mal zu, bevor er den leblosen Körper zu Boden gleiten ließ.
    Heute Nacht würde ihn niemand aufhalten.
     
    Werthen lief erregt vor der Fallklappe auf und ab, erwartete dringend die Rückkehr des Bühnenarbeiters. Der Kerl hatte den soeben eingefangenen Hund wieder losgelassen und Werthen gerade noch am Arm erwischt, als er die Fallklappe öffnete. Er weigerte sich, Werthen vorbeizulassen, und wollteschon herumschreien, was vielleicht Blauers Aufmerksamkeit erregt hätte.
    Also forderte Werthen den Bühnenarbeiter auf, selbst hinabzusteigen, um Blauer heraufzuholen. Er erklärte dem erstaunten Arbeiter, Herr Regierungsrat Leitner wolle diesen unbedingt wegen der Abschlussszene sprechen. Es gebe einige sehr kurzfristige Änderungen.
    »Na, typisch, genau wie immer«, murmelte der Bühnenarbeiter. »Die streuen in letzter Sekunde noch Sand ins Getriebe, und wir müssen es wieder richten.«
    Werthen äußerte zwar sein Mitleid mit dem Arbeiter, blieb aber bei seiner Forderung. Blauer musste geholt werden, und zwar sofort.
    Mittlerweile war der Arbeiter aber schon viel zu lange fort. Das war kein gutes Zeichen. Mit jeder Sekunde, die verstrich, wuchs Werthens Argwohn.
    Er hörte die ersten Noten der Ouvertüre und öffnete in diesem Moment wieder die Fallklappe.
     
    Berthe öffnete genau in dem Moment die Geheimtür zu den Kulissen, als Werthen die Treppen unter der Fallklappe hinabstieg. Sie ignorierte die Ermahnung eines Bühnenarbeiters, dass hier nicht jeder Zugang habe. Auch ihrem eigenen Körper, der sie mit dem Warnzeichen der Übelkeit daran erinnerte, dass sie schließlich schwanger war, schenkte sie keine Aufmerksamkeit.
    Karl konnte in großer Gefahr sein. Das war ihr einziger Gedanke.
     
    Da die Musik Wagners auch den Raum unter der Bühne erfüllte, überhörte Blauer das erneute Öffnen der Fallklappe. Er hatte den toten Mann nicht umgedreht und so seinen Irrtum nicht bemerkt, dass er nicht den Advokaten getötet hatte.
    Die von ihm angebrachte Sprengladung war noch an ihrem Platz. Er lächelte. Er hatte die harte Schule der Straße hinter sich, wo man so etwas lernte.
    Eine Woge heißer Wut durchströmte ihn, als er daran dachte, wie sein Leben durch Mahler beeinflusst – und ruiniert – worden war. Wäre Mahler nicht gewesen, wäre Hans ein großer Musiker geworden und heute vielleicht selbst Hofoperndirektor. Und auch er, Wilhelm Karl, hätte ein beachteter Musiker werden können. Hatte er nicht seine kompositorischen Fähigkeiten mit der kodierten Nachricht an Werthen und Gross unter Beweis gestellt? Wieviel Jahre hatte er investiert, um endlich mit diesem Mann abzurechnen! Er war in die Rolle von Blauer geschlüpft und Inspizient der Hofoper geworden, um sich in der Nähe seiner Beute aufhalten zu können. Und jetzt trennten ihn nur noch Minuten von seinem Erfolg. Jetzt galt es, diese tödliche Falle vor dem ersten Szenenwechsel zu verlassen.
    Als die Musik ihn umhüllte, drehte sich Blauer herum, um zu verschwinden.
    »Was haben Sie vor, Blauer?«
    Werthen stand unmittelbar vor ihm. Blauer sprang vor Schreck hoch, als hätte er einen Geist gesehen.
    Als Werthens Blick auf den Leichnam des Bühnenarbeiters fiel, überkam ihn blinde Wut. »Sie Tier!«, schrie er Blauer an.
    Der Inspizient sagte kein Wort, sondern knurrte nur drohend, sprang Werthen an und riss ihn zu Boden.
    Werthen versuchte, sich von dem Mann wegzurollen, aberBlauer hatte Bärenkräfte und hielt ihn fest umschlungen. Er schien alles Leben aus Werthen herausquetschen zu wollen. Verzweifelt rammte Werthen dem Kerl sein Knie in den Unterleib. Blauer schrie vor Schmerzen laut auf. Sein Griff um Werthens Körper lockerte sich einen Moment, so dass der von ihm wegkriechen konnte. Als er jedoch aufstehen wollte, trat Blauer zu und holte ihn wieder von den Füßen.

Weitere Kostenlose Bücher