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Wiener Requiem

Wiener Requiem

Titel: Wiener Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Jones
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mir nicht vorstellen, was los sein könnte«, meinte Alma schließlich ungeduldig. »Herr Mahler beginnt normalerweise immer sehr pünktlich.«
    »Das gibt uns umso mehr Zeit, all den Prunk zu bestaunen«, erwiderte Herr Meisner lachend.
     
    Ameisen. Sie sehen aus wie Ameisen. Blasierte, prunkvoll herausgeputzte Insekten, die so selbstgefällig tun, während sie hier in der eleganten Hofoper sitzen, als würde die Eintrittskartezu diesem Spektakel ihr belangloses Leben interessanter machen.
    Wenn sie nur schon im Voraus von seinem Plan wüssten, diesem eleganten finalen Schachzug. Die in den ersten Reihen des Parketts würden niemals etwas davon erfahren. Der Rest, die Überlebenden, konnte es morgen in der Zeitung lesen.
    Nun würde es nur noch wenige Minuten dauern, und Gustav Mahler erhielte endlich seine angemessene Strafe.
    Blauer hatte lange auf diesen Moment warten müssen. Aber das Finale war die Mühen und Zeit wert. Es blieben nur noch Minuten. Wenige Minuten.
     
    »Schaffen Sie diese Tiere endlich auf die Bühne!«, forderte Mahler, während die Hunde wie wild an ihren Leinen zerrten. Einer hob sein Bein und markierte einen hölzernen Sockel, der eine marmorne Säule darstellen sollte. Die graue Farbe begann sofort zu verlaufen.
    Der Hundetrainer wurde von der Seitenbühne herbeigerufen und versuchte die Tiere zu beruhigen, während dem übernervösen Darsteller, der die Hunde eigentlich in einer triumphalen Szene auf die Bühne führen sollte, am ganzen Leib der Schweiß ausbrach.
    »Nun mäßigen Sie doch endlich Ihre Tiere!«, schnauzte Mahler den Hundeführer an. Plötzlich begann auch er zu schwitzen, als sich die scharfen Blicke des Maestros wie heiße Eisen in ihn zu bohren schienen.
     
    »Ich bedaure sehr, mein Herr«, sagte der Saaldiener im roten Mantel, »aber ohne Billett können wir Ihnen nicht gestatten einzutreten.«
    »Ich sage Ihnen doch!«, fuhr Werthen den Mann an. »Es handelt sich hier um eine Angelegenheit auf Leben und Tod! Prinz Montenuovo selbst hat uns freien Zutritt gewährt.«
    Diese Antwort machte den Saaldiener lediglich noch ungehaltener und misstrauischer.
    »Wunderbar, und mir hat der Kaiser persönlich die Erlaubnis erteilt, jeden Störenfried hinauszuwerfen. Und nun gehen Sie bitte, meine Herren, oder ich werde mir Hilfe hinzurufen.«
    Ohne dass sie es vorher abgesprochen hätten, täuschte Gross einen Ohnmachtsanfall vor, um den Saaldiener abzulenken und Werthen somit die Möglichkeit zu geben, an dem Mann vorbei zum zweiten Rang zu stürmen. Mit einem Saaldiener langwierig zu diskutieren, war angesichts der Informationen, die sie von Herrn Otto erhalten hatten, vollkommen unangebracht.
    Werthen wusste genau, wohin er wollte. Sein erstes Treffen mit dem Regierungsrat Leitner hatte er noch gut im Gedächtnis, ebenso wie die genaue Lage der Geheimtür, die Leitner ihnen an jenem Tag gezeigt hatte. Vom Gang des zweiten Rangs aus führte von ihr ein Korridor hinter die Bühne. Mahler benutze diese geheime Tür, um während der Proben schnell von seinem Logensitz aus auf die Bühne zu gelangen.
    Werthen verschwendete weder einen Gedanken an sein schmerzendes rechtes Bein, als er die mit Teppich ausgelegten marmornen Stufen hinaufhetzte, noch an den Saaldiener, der wütend hinter ihm herschrie. Ebenso wenig hielt er sich mit dem Versuch auf, jemanden aus der Verwaltung aufzutreiben, um die Aufführung abbrechen zu lassen. Dazu blieb einfach keine Zeit. All seine Instinkte sagten ihm, dass heute etwas Entscheidendes, etwas Dramatisches geschehen würde.
     
    Das ging nun aber wirklich zu weit; es waren schon zwanzig Minuten über die reguläre Anfangszeit hinaus verstrichen, und der Dirigent ließ sich immer noch nicht blicken. Das Orchester war längst verstummt, das Stimmen der Instrumente abgeschlossen.
    Berthe, die noch immer Almas Opernglas nutzte, überflog noch einmal den Zuschauerraum mit ihrem Blick, um dann Blauer in den Fokus zu nehmen, der in Mahlers Loge saß. Ganz offensichtlich war er höchst nervös. Berthe sah, dass seine Finger auf der Balustrade sich noch immer bewegten. Den Mund hatte er nun jedoch angespannt, fast finster zusammengepresst.
    Schlagartig wurde ihr alles klar. Bisher war ihr Blick immer durch die Koteletten abgelenkt gewesen, aber wegen der zusammengekniffenen Lippen hatte sie jetzt zum ersten Mal die untere Partie von Blauers Gesichts genauer betrachtet. Und das Habsburger Kinn erkannt, oder besser gesagt, das berühmte fehlende Kinn,

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