Wiener Requiem
Probleme
. Damit wollen Sie gewiss andeuten, dass es weitere gibt.«
»Der Bühnenarbeiter, der angeblich dafür verantwortlich ist, dass der Feuervorhang herunterstürzte, arbeitet nicht mehr an der Hofoper.«
»Mir wäre es ebenfalls nicht sonderlich genehm, wenn dieser Nichtsnutz noch dort wäre.«
»Er scheint sogar nicht mehr in Österreich zu sein. Angeblich ist er nach Amerika ausgewandert.«
Mahler schwieg wieder.
»War er auch für das Bühnenbild verantwortlich, das herunterfiel?«
Werthen bemerkte erst jetzt, dass er den Inspizienten nicht danach gefragt hatte.
»Vielleicht«, antwortete er rasch, um den eigenen Fehler zu kaschieren.
»Und der vergiftete Kamillentee?«, erkundigte sich Mahler.
Werthen zuckte mit den Schultern. »Sie zählen selbst vier gefährliche – vielleicht sogar lebensgefährliche – Vorfälle auf und machen sich dennoch anschließend lustig«, sagte er stattdessen. »Denken Sie, das sei eine angemessene Antwort? Warum haben Sie mich heute eigentlich zu sich bestellt?«
Mahler schmunzelte. »Die Überarbeitung meines Testamentes, oder haben Sie dies vergessen?«
»Heute? Am Sonntag?«
Mahlers Kopf ruhte auf dem weißen Kissen, aber er nickte dennoch. »Also gut, ich gebe es zu. Es stimmt, ich empfinde eine gewisse Besorgnis. Vor allem jetzt, da das Pult so spurlos verschwunden ist.«
Werthen sagte nichts, um Mahler zu zwingen, es selbst auszusprechen.
»Meinetwegen, wenn es unbedingt sein muss, forschen Sie drauf los.«
»Warum ist er nur so starrköpfig?«, erkundigte sich Berthe, als sie die Josefstädterstraße entlang nach Hause schlenderten.
»Er will einfach nicht glauben, dass er mit jemandem arbeitet, der seinen Tod will. Ich kann mir vorstellen, dass diese Vorstellungrecht abschreckend ist und nichts, über das man lange nachsinnen möchte.«
»Wirst du die Untersuchung beschränken?«
»Was meinst du?«, fragte Werthen. Sie kamen nun wieder an die Ringstraße. Eine vor kurzem elektrifizierte Tram fuhr vorbei. Funken stoben von ihrer Oberleitung. »Du sagst, Mahler würde vielleicht mit jemandem arbeiten, der seinen Tod wünscht. Aber es gibt doch auch die Möglichkeit, dass die Familie dabei eine Rolle spielt, oder?«
»Du denkst an seine Schwester?«
»Warum nicht? Oder eine Geliebte, die den Laufpass bekommen hat.«
»Und wer könnte das sein?«
»Es hat nicht einmal eine halbe Tasse Tee gedauert, herauszufinden, dass Natalie Bauer-Lechner hoffnungslos in Mahler verliebt ist. Und wenn ich Justine Mahlers Bemerkungen richtig verstanden habe, hat die Dame keinerlei Aussichten, jemals seine Frau zu werden.«
»Das scheint ein ziemlich glückliches kleines Heim zu sein.«
Berthe hob ihre Augenbrauen. »Sie sind wie Kletten und weichen nicht von seiner Seite.« Dann schob sie ihren Arm unter seinen.
Eine Viertelstunde später erreichten sie, müde von dem langen Tag, ihre Wohnung. Werthen spielte mit dem Gedanken an ein heißes Bad, einen Sherry vor dem Abendessen und ein wenig Zeit zum Lesen. Also ein gemütlicher Abend mit seiner Frau und dann früh ins Bett. Bei diesem Gedanken wurde ihm ganz warm ums Herz. Er war ein glücklicher Mann.
Als sie die Tür öffneten, kam ihnen Frau Blatschky entgegen und flüsterte: »Ich habe ihm ja gesagt, dass Sie außerHaus wären, aber er bestand darauf, auf Sie zu warten. Er ist schon seit ein paar Stunden hier, und ich sollte vielleicht hinzufügen, dass er bereits zweimal gegessen hat.«
Werthen wollte sie gerade fragen, wer der mysteriöse Gast denn wäre, als eine wohlbekannte Stimme aus dem Wohnzimmer dröhnte.
»Werthen, mein Bester, wo zum Teufel haben Sie denn nur den ganzen Tag gesteckt?«
Die Stimme gehörte niemand anderem als Dr. Hanns Gross, einem alten Freund und Kollegen Werthens, der – wie Gross sich selber gern nannte – einer der führenden »Krimino logen « des Kaiserreichs war.
4. KAPITEL
»Es würde mich wahrhaftig nicht im Geringsten stören, wenn ich nie wieder eine einzige Buche zu sehen bekäme«, sagte Gross, als er sich ein Stück vom Tafelspitz mit Meerrettichsauce abschnitt, den Frau Blatschky vor ihm abgestellt hatte. »Daher kommt nämlich der Name der Gegend, Buchenwald, ein Land voller Buchen.«
Im vergangenen Jahr war Gross an die Franz-Josef-Universität in der Hauptstadt der Bukowina, Czernowitz, gesandt worden, um dort den ersten Fachbereich für Kriminologie in Österreich-Ungarn einzurichten. Es war ein Zeichen der Anerkennung all der Jahre, die er der
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