Wiener Requiem
machen.«
Gross zwirbelte seinen graumelierten Schnurrbart. »Sie wissen sehr gut, dass es nicht diese Art von Geschäftigkeit ist, nach der ich Sie gefragt habe.«
»Ach, nun erzähle es ihm schon«, meinte Berthe.
Werthen schmunzelte. Sie hatte eindeutig ein gütigeres Herz als er.
»Wir sind mit einer neuen Ermittlung beschäftigt.«
»Das ist schon eher, was ich meinte«, sagte Gross. »Ich wusste, wer sich einmal so in einen Fall verbissen hat, wie Sie das getan haben, kommt von der Welt des Verbrechens nicht mehr los. Wer ist involviert?«
»Mahler.«
»Der Komponist? Was hat er getan, abgesehen von dem musikalischen Anschlag auf mein Trommelfell?«
»Nichts hat er getan«, erklärte Werthen, »man will ihm etwas antun. Es scheint, als sei er zur Zielscheibe eines Mörders geworden.«
»Wunderbar.« Diesmal klatschte Gross vor Freude in die Hände. »Was meinen Sie?« Er wandte sich kurz an Berthe. »Könnten wir vielleicht zum Dessert übergehen?« Dann drehteer sich wieder zu Werthen herum und strahlte ihn an. »Erklä ren Sie es mir!«
Bei Kaffee und Strudel breitete Werthen die Einzelheiten der bisherigen Nachforschung aus: scheinbar zusammenhanglose Unfälle, die durchaus fehlgeschlagene Anschläge auf Mahlers Leben gewesen sein konnten.
Gross unterbrach ihn: »Ich gehe davon aus, dass Sie diese junge Schindler überprüft haben?«
»Überprüft?«
»Ihre Personalangaben überprüft«, erklärte Gross.
»Ich weiß, was das Wort bedeutet, Gross. Aber aus welchem Grunde sollte ich Fräulein Schindler überprüfen?«
»Um sicherzustellen, dass sie keine Betrügerin ist.«
»Machen Sie sich nicht lächerlich, Gross«, fauchte Werthen.
»O nein. Ich finde, Dr. Gross hat da eine sehr berechtigte Anmerkung gemacht«, mischte sich Berthe ein. »Schließlich wissen wir von ihr nicht mehr, als dass Klimt ihr nachläuft, so wie er das bei jedem Rock tut. Wenn sie wirklich so vernarrt in Mahler ist, versucht sie vielleicht, seine Aufmerksamkeit zu erregen und sein Wohlwollen zu erlangen.«
»Indem sie versucht, ihn zu töten?«, antwortete Werthen ungläubig.
»Ganz im Gegenteil, alter Junge«, sagte Gross. »Indem sie ihm scheinbar zur Hilfe eilt, nachdem sie selbst den Alarm ausgelöst hat.«
»Sie hat sehr deutlich gemacht, dass ich ihre Identität Mahler gegenüber nicht enthüllen darf.«
Gross nickte. »Ganz recht …«
»Aber nichts könnte sie daran hindern, sich ihm selbst zu erkennen zu geben«, sagte Berthe.
»Das ist genau mein Punkt«, meinte Gross und nickte Berthe anerkennend zu.
Werthen fühlte sich überstimmt und geradezu umzingelt.
»Es ist, wie Ihre Frau andeutet, unverzichtbar, dass wir alle Möglichkeiten in Betracht ziehen.«
»Wir?«, stieß Werthen hervor. »Einen Augenblick, Gross. Was ist denn mit Ihrer Konferenz?«
Gross tat dies mit einem geringschätzigen »Pah« ab. »Eine Sache von ein paar Stunden hier und da. Wohingegen dieser Fall etliche verlockende Möglichkeiten zu bieten scheint.«
»Es ist bis jetzt schwerlich ein Fall«, widersprach Werthen. »Und ich bezweifele sehr, dass die junge Schindler in der Lage sein wird, ein angemessenes Honorar zu zahlen, wenn überhaupt.«
»Schon, aber Sie sagten auch, dass Mahler Ihnen grünes Licht für Ermittlungen gegeben hat. Also
sind
Sie sein Anwalt.«
Plötzlich hatte Werthen das Gefühl, dass er seine Ermittlung schützen musste. Er war sich nicht sicher, ob er zulassen wollte, dass sich Gross in die Ermittlungen hineindrängte, um sie dann womöglich an sich zu reißen. Das hier war seine, Werthens, Ermittlung, und Mahler war sein Klient.
Als hätte er seine Gedanken gelesen, nahm Gross noch einen letzten Schluck Kaffee, tupfte seinen gesträubten Schnurrbart mit der Leinenserviette ab und sagte: »Es ist selbstverständlich Ihr Fall, Werthen. So wie die Dinge stehen, würde ich Sie lediglich unterstützen wollen, als Berater, so nennt man das wohl.«
»Bezahlt oder unbezahlt?«, erkundigte sich Berthe schlau.
Gross heuchelte Empörung. »Sie tun mir Unrecht, meine Teure. Selbstverständlich ohne Bezahlung. Vielleicht sollte ich sagen, dass ich Ihnen hierdurch die Freundlichkeit und Großzügigkeitvergelte, dass Sie mich einladen, bei Ihnen zu übernachten, damit ich kein Zimmer im Bristol buchen muss. Wenn Sie das in Rechnung stellen, wäre ich gewiss reichlich für jeden nur erdenklichen Dienst entlohnt, den ich Ihnen erweisen könnte.«
Werthen und Berthe wechselten kurz einen
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