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Wiener Requiem

Wiener Requiem

Titel: Wiener Requiem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J Jones
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Veränderung, die ihn erwartete, überrascht. Plötzlich war das Haus mit Besuchern gefüllt, die alle zur selben Zeit bei Mahler und seiner Familie hereingeschneit waren. Einer der Gäste war Arnold Rosé, der Verehrer von Justine, der Schwester Mahlers. Er sah gut aus, hatte einen kräftigen Körperbau und wirkte mit seinem fein getrimmten Bärtchen eher wie ein Doktor als ein Musiker.
    Ihm gegenüber saßen Regierungsrat Leitner und der Dirigent Hans Richter, in dessen enormem Bart noch die Krümel vom Frühstück hingen. Den vierten in der Runde bildete der berühmte Tenor Baltazar Franacek. Kaffeetassen im bekannten Gmundener Dekor standen auf dem Tisch verteilt.
    Diese kleine Versammlung gefiel Werthen außerordentlich, da er hoffte, sie würde ihm die Möglichkeit einer Befragung von Richter und Franacek verschaffen. Die Namen der beiden waren gefallen, als es um Streitereien mit Mahler ging. Leitner vermied es angestrengt, Werthen zu begrüßen, obwohl er der Einzige im Raum war, der ihn kannte. Eine förmliche wechselseitige Vorstellung schien nicht zu erfolgen, und so wollte Werthen gerade seinen Posten an der Tür beziehen und dem Quartett nur kurz zunicken, als Mahler selbst am oberen Ende der Treppe auftauchte. Sein Anzug war zerknittert, und sein Haar schien seit Tagen nicht gebürstet worden zu sein.
    »Oh, sehr gut, Werthen, dass Sie schon da sind. Sie kennen diese Herren, vermute ich.« In seiner rechten Hand, mit der er gelangweilt in Richtung der vier Männer wedelte, hielt er noch ein Stückchen Lokum.
    »Nein, eigentlich nicht«, antwortete Werthen und warf Leitner ein verschmitztes Lächeln zu, der nun für seine schlechten Manieren büßen sollte.
    Mahler stellte nun selbst Werthen vor und nannte ihn mit Bedacht nur seinen Juristen.
    Werthen erfuhr, dass Rosé gekommen war, um etwas Zeit mit der Familie Mahlers zu verbringen. Die anderen Männer waren dagegen aus geschäftlichen Gründen angereist.
    Der Tag schritt voran, und die drei Männer hatten einer nach dem anderen ihre privaten Unterredungen mit Mahler, deren Tonfall immer schärfer wurde. Richter war gekommen, um förmlich seinen Abschied von der Hofoper zu bekunden, und wurde von Mahler lautstark des Verrats bezichtigt. Dann wollte Leitner über die zu häufigen, angeblich krankheitsbedingten Abwesenheiten einer einzelnen Sopranistin sprechen, die Mahler unwidersprochen hingenommen hatte. Zum Abschluss forderte Franacek eine Erhöhung seiner Bezüge, was in ein lautstarkes Geschrei ausartete, das im ganzen Haus deutlich zu hören war.
    Sobald einer der Herren das Haus verlassen wollte, versuchte Werthen, den Mann abzufangen und ein kurzes Gespräch mit ihm zu führen. Richter sorgte dabei für eine besondere Überraschung, denn als Werthen in sehr diskreter Weise nach dem Grund seiner Auseinandersetzung mit Mahler fragte, lächelte der korpulente Dirigent zunächst nur breit.
    »Nun, ich kann Ihnen versichern, dass es keinerlei Grund für harte Worte von meiner Seite aus gab. Herr Mahler hat mir einen außerordentlichen Gefallen damit getan, dass er Direktor der Hofoper geworden ist; ursprünglich wollte man mir diese Position aufbürden. Ich möchte hinzufügen, Herr Advokat, dass das politische Intrigenspiel, das zu einer solchen Position gehört, mir weder zusagt noch meinem Talent entspricht. Herr Mahler hat mich somit vor einem fatalen Schicksal bewahrt.Allerdings hat er nun auch meine Position als Dirigent unhaltbar gemacht, da er selbst fast den gesamten Wagner dirigiert, der meine besondere Stärke ist.«
    Richter schmunzelte ein weiteres Mal und sah ihn verschwörerisch an. »Aber nochmals, er hat mir damit einen Gefallen getan, denn ich habe schon lange gewünscht, Wien zu verlassen, um nach London zu gehen, wo man mich mit offenen Armen willkommen heißen wird. Mahler hat mir einen ausgezeichneten Vorwand geliefert, meinen Vertrag aufzukündigen. Es gibt natürlich Personen, die meinen, ich wünschte Herrn Mahler Schlechtes, aber warum, frage ich Sie, sollte ich, da er doch so ein Segen für mich gewesen ist?«
    Mit einem lauten Lachen ging der korpulente Herr daraufhin seiner Wege.
    Leitner war keinesfalls so gut gelaunt, sondern nickte Werthen zur Verabschiedung nur barsch mit zusammengekniffenen Lippen zu. Auch Franacek war offensichtlich durch die Begegnung so stark verärgert, dass er sich in großer Eile verabschiedete und Werthen keine Gelegenheit zu einem kurzen Gespräch gab.
    »Dieser Mann ist unmöglich«, sagte

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