Wiener Schweigen
hurchn S’ amal zua …«
Rosa nahm an, dass das, was Liebhart der Pensionswirtin zu sagen hatte, sich nicht sonderlich von dem unterschied, was er heute Morgen den Stiegenhausdrachen in Wien hatte wissen lassen.
Die Männer der Spurensicherung begannen sofort, das Zimmer zu untersuchen, und Rosa widmete sich wieder den Büchern auf dem Nachttisch. Nach einer Weile meldete ein Beamter der Spurensicherung einen Fund unter einem losen Brett im Fußboden.
Rosa trat hinzu und spähte in das Loch, in dem sie ein Paket erkannte. Der Beamte machte einige Aufnahmen, bevor er es vorsichtig aus dem Versteck hob und auspackte. Aus den losen Blättern der polnischen Zeitung, in die ein Gegenstand eingepackt worden war, blitzte es golden.
»Ein Brustkreuz«, sagte Rosa, als das letzte Zeitungsblatt entfernt worden war.
Liebhart beugte sich über den Schatz. »Stammt nicht aus der Wohnung von Friedrich Kobald, sonst hätten wir es nach Durchsicht des Katalogs schon vermisst.« Er drehte sich zu einem der Männer um. »Bringen Sie das sofort ins Labor! Rosa, ich möchte, dass du dir das Kreuz«, er sah auf die Uhr, »morgen ansiehst. Heute wird es hoffentlich noch möglich sein, Fingerabdrücke und andere Spuren auf dem Stück zu sichern. Ich ruf dich an, sobald du mit der Untersuchung beginnen kannst. Dann gehört es dir.«
Er wählte eine Nummer auf seinem Mobiltelefon und informierte das Labor über den Fund. Rosa verließ die Pension eine halbe Stunde später. Im Wegfahren konnte sie im Rückspiegel den wütenden Blick von Frau Schrattner sehen, die sie aus einem Fenster im ersten Stock beobachtete.
Kurz vor der Nordbrücke überlegte sich Rosa, einen Sprung in den Laden der Krautfrau im Kahlenbergerdorf zu machen. Einerseits wollte sie eingelegtes Gemüse kaufen, andererseits gab es keine bessere Informationsquelle als wartende Kunden in einem kleinen Dorfladen.
Das Krautgeschäft war voll mit schnatternden Frauen. Alle um die fünfzig im ländlichen Einheitslook: grobe, robuste Stoffe in gedeckten Farben. Die Wartenden verstummten, als die Glocke am Eingang anschlug und Rosa eintrat. Sie spürte, wie sie beobachtet wurde. Wieder galt der abschätzige Blick den bunten Sandalen. Sie schlenderte langsam zu ein paar gerahmten Fotos, die im Verkaufsraum aufgehängt waren und an die hundert Jahre alt sein mussten. Eines stellte den alten Dorfplatz vom Kahlenbergerdorf dar. Die Straße war noch nicht gepflastert, ein Fuhrwerk mit zwei stämmigen Pferden stand vor dem Wirtshaus. Ein anderes Bild zeigte eine windschiefe Weinberghütte am Leopoldsberg. Hinter dem Glas der Bilder steckten getrocknete Pflanzen. Rosa meinte, einen roten Fingerhut an seinen langstieligen Blättern zu erkennen, die kräftige Farbe des Blütenkelches war schon verblasst.
Die Frauen hatten das Gespräch inzwischen wieder aufgenommen. Sie kamen Rosa wie eine wogende Masse vor, die sich tratschend hin und her bewegte.
»Na, auf jeden Fall ist mir die Suppenschüssel geplatzt von dem Knall, und alles hat sich über das neue Tischtuch ergossen«, sagte eine.
»Ich war ja leider nicht im Dorf. Wir waren in Wien und haben unsere Pässe verlängern lassen.«
»Ein Rumser war das; ich hab mir gedacht, jetzt geht die Welt unter.«
»Also, ich war ja leider nicht da, denn wie gesagt: die Pässe.«
Die Krautfrau schöpfte aus einem Bottich mit einer Holzkelle, die sie in ihren dicken roten Händen hielt, grüne Gurken in einen Plastiksack.
»Der Nächste bitte«, bellte sie durch ihren Laden.
»Drei Gewürzgurken und zwei Gläser mit sauren Paprika«, rief jemand.
»Vor zwei Wochen erst hat das Haus der Zehetmair gebrannt, die Alte haben sie nur noch verkohlt gefunden.« Der Tratsch setzte erneut ein.
Rosa spitzte die Ohren, während sie eine ehemals scharlachrote Blüte eines Feuersalbeis bewunderte, die hinter das Glas einer Ansicht des Kahlenbergerdorfes geklemmt worden war.
»Ja, furchtbar. Die Zehetmair hat ja schon so lange allein gelebt.«
»Wie die das gemacht hat mit dem Riesen-Haus, ist mir ein Rätsel.«
»Das war ja schon total verfallen.«
»Und dann erst der junge Russe. Oder war das ein Pole? Na, der ersoffen ist.«
»Ja, furchtbar. Wieso kommen die denn jetzt zu uns?«
»Die Ausländer sollen bleiben, wo sie sind! Die kommen doch nur zu uns, um zu stehlen.«
»Genau, und dann erschlagen sie sich gegenseitig. Den hat sicher einer von seiner Bande umgebracht.«
Rosa verdrehte die Augen, manche Österreicher empfanden alle
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