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Wiener Schweigen

Wiener Schweigen

Titel: Wiener Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Strohschein
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in der Kuchelau«, fügte er erklärend hinzu. »Wir haben ein eigenes Freizeitzentrum im Kuchelauer Hafen. Ich war dort, als das Haus abgebrannt ist.«
    »Und du konntest das Feuer vom Hafen aus sehen?«
    »Ja, ich habe die Flammen über den Baumwipfeln deutlich erkennen können. Es war eine sternenhelle Nacht. Die Farbe des Feuers war Gelb, nein, eher Weiß, also, ich denke, Gelb und Weiß. Der Rauch war fast schwarz, es hat unheimlich ausgesehen.«
    »Weswegen warst du denn mitten in der Nacht im Hafen?«, wunderte sich Yvonne.
    »Ich habe ein Experiment durchgeführt«, erwiderte Ludwig redselig, und Rosa krallte ihre Finger um die Zaunlatten.
    Bitte nicht weiterfragen, dachte sie inbrünstig.
    »Was für ein Experiment?«
    Mist!, dachte Rosa.
    »Ich züchte Süßwasserkrebse im Kuchelauer Hafen.« Ludwig sah sie stolz an.
    Rosa nickte und presste die Lippen zusammen.
    »Wieso kontrollierst du die Käfige nicht untertags?« Yvonne sah ihn interessiert an.
    »Weil die private Zucht, ob jetzt Fisch oder Krebs, im Hafen verboten ist. Deswegen kann ich nur in der Nacht nach dem Rechten sehen. Ich habe auch eine Grubenlampe, sonst finde ich ja die Saiten des Banjos nicht.«
    Rosa war sich sicher, dass man ihre Lippen nun gar nicht mehr sehen konnte.
    »Wofür brauchst du denn das Banjo?«, fragte Yvonne und verscheuchte eine Fliege, die um ihren Kopf kreiste.
    Oh mein Gott, dachte Rosa, wenn der jetzt noch mehr ins Detail geht, gehen mir ein paar Gehirnzellen drauf.
    Demonstrativ sah sie auf eine imaginäre Uhr an ihrem Handgelenk, eine Geste, die sie in letzter Zeit bei mobiltelefonverseuchten Menschen öfter sah und die ihr wahnsinnig auf die Nerven ging. Sie habe ja noch so viel zu tun, verabschiedete sie sich und ging schnell auf ihr Haus zu.
    In der Küche legte sie etwas Schinken, den sie im Feinkostladen Patzak gekauft hatte, auf eine Scheibe Bauernbrot und biss genussvoll hinein. Während die Brotrinde zwischen ihren Zähnen krachte, dachte sie an das Brustkreuz aus Andrzej Zielińskis Zimmer. Leider hatte sie nur einen kurzen Blick darauf werfen können, bevor die Spurensicherung es eingepackt hatte. Es war aufwendig gearbeitet, sie meinte, Blütenzweige in Emailarbeit gesehen zu haben. Das Kreuz war mit einem Reliefband umgeben, das der zierlichen Silberarbeit Halt gab. Rosa war gespannt auf die morgige Analyse, sie merkte, wie ihr alter Tatendrang zurückkam.
    Das Gespräch mit Ludwig fiel ihr wieder ein, und sie beschloss, mehr über das abgebrannte Haus der Zehetmair-Zwillingsschwestern in Erfahrung zu bringen. Deswegen rief sie Johanna an und bat sie, ihr Zeitungsausschnitte der Lokalnachrichten der letzten zwei Wochen zu borgen. Sie versprach, ihr die Zeitungen später vor die Tür zu legen. Johanna las alles, was ihr vor die Nase kam, und »archivierte« für sie interessante Zeitungsausschnitte, indem sie sie nach Interessengebieten in ihrem Haus stapelte. Tische, Stühle und Bücherregale waren übersät mit Papieren. Sie verlor überraschenderweise nie den Überblick und fand in kürzester Zeit, was immer sie suchte.
    Im Bett blätterte Rosa noch einmal den Katalog von Friedrich Kobald durch. Ihre Gedanken kreisten jedoch immer wieder um die Geschichte der Zehetmair-Schwestern. Sie überlegte, ob die seltsamen Ereignisse der letzten Wochen irgendwie zusammenhängen könnten: Ein Haus im Kahlenbergerdorf brennt ab, die alte Frau, die dort wohnte, kommt in den Flammen um. Ein Sammler in Wien wird ermordet und eine Monstranz aus seiner Sammlung gestohlen. Wenig später entdecken Taucher die Leiche eines jungen Polen im Kuchelauer Hafenbecken. In seinem Rucksack befindet sich das Bild einer Ikone. Am selben Tag geht vom Leopoldsberg eine Mure ab und gibt dreißig Skelette frei. Im Zimmer des ertrunkenen Polen findet man ein Brustkreuz.
    Mit diesem Kahlenbergerdorf stimmt was nicht, waren Rosas letzte Gedanken, bevor sie in einen unruhigen Schlaf fiel.
    * * *
    Der Pfarrer war sehr nett. Ich hatte das Gefühl, dass sich in seiner Gemeinde nur noch wenig junge Leute für die Kirche interessieren. Er konnte mir allerdings nicht weiterhelfen, denn er ist erst seit zwei Jahren da, und alles, was ich wissen möchte, ist schon vor so langer Zeit passiert. Er hat mir geraten, zu Frau Zehetmair zu gehen. Eine alte Dame, lebt sehr zurückgezogen. Die soll sich an alles erinnern können. Ich habe also wieder einen Namen.

7
    Die Sonne stieg gerade träge über die Hügel und tauchte das Tal vor Rosas Haus in

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