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Wiener Schweigen

Wiener Schweigen

Titel: Wiener Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Strohschein
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Zuckerstück in ihren Kaffee und sah zu, wie es sich langsam vollsog. Sie wollte eigentlich in den Zeitungen blättern, doch sie genoss das starke Aroma des Kaffees und sah dabei ein paar Spatzen zu, die sich um Kuchenkrümel stritten, die ihnen zwei Touristen am Nachbartisch zuwarfen.
    Liebhart kam, um sie abzuholen, und sie machten sich auf den Weg ins Kahlenbergerdorf, um mit dem Pfarrer zu reden.
    »Andrzej hat in seinem Tagebuch geschrieben, dass der Pfarrer noch nicht lange für die Gemeinde zuständig ist«, gab Rosa zu bedenken.
    »Wir müssen trotzdem mit ihm reden.« Liebhart steuerte sein Auto über die holprige Höhenstraße. »Er könnte den Auftrag zur Abholzung der Bäume gegeben haben, oder er hat vielleicht eine Ahnung, wer das getan hat. Immerhin gehört der Grund dem Stift, zu dem auch seine Kirche gehört.«
    Pfarrer Mullner war ein Mann Mitte fünfzig. Als er die dicke Holztür des Pfarrhauses, das windschief neben der kleinen Kirche stand, mit einem Ruck öffnete, trug er beige Cordhosen und ein dunkelrotes Hemd. Seine Augen, um die wie ein Fächer winzige Lachfältchen lagen, waren wachsam und freundlich. Bevor er Liebhart und Rosa hereinbitten konnte, fragte sie, ob er ihnen kurz die Kirche zeigen könnte. Er kam der Bitte gern nach und holte aus seiner Hosentasche einen großen Schlüssel, mit dem er das Tor aufsperrte. Rosa bewunderte die Rokokobeschläge der niedrigen Holztür, die in das Innere führte.
    Unter einem Kreuzgewölbe fiel das helle Sonnenlicht durch die gotischen Kirchenfenster. Die dunklen Bänke waren abgewetzt, rote Gesangbücher lagen auf ihnen. Zum Hochaltar an der Stirnseite gehörte ein Gemälde vom heiligen Georg. Die Kirche war erstaunlich schmucklos, selbst der Altar neben dem massiven spätgotischen Taufbecken aus Rotmarmor am Ende des kurzen Mittelganges wirkte, obwohl barock, wie eine etwas bessere Kredenz. Rosa stockte der Atem, sie riss Liebhart am Ärmel und zeigte auf zwei Ikonen der Muttergottes. Langsam ging sie so nah wie möglich an die Bilder heran. Sie klassifizierte die beiden Bilder russischer und byzantinischer Herkunft.
    Pfarrer Mullner folgte ihrem Blick. »Sie waren schon da, als ich die Gemeinde übernommen habe. Ich kann Ihnen leider nicht sagen, woher sie gekommen sind. Aber wir sollten ins Pfarrhaus gehen.« Er schob sie zum Ausgang.
    Sie betraten ein gemütliches Wohnzimmer, in das durch die kleinen Fenster wenig Licht fiel, und Pfarrer Mullner bat sie, an einem dunklen Holztisch mit quadratischer Platte Platz zu nehmen. Er stellte ungefragt drei kleine Gläser auf das rote Samttischtuch und goss ihnen augenzwinkernd Kirschlikör ein.
    »Ein ausgezeichneter Tropfen, der Ehemann meiner Haushälterin stellt ihn selbst her«, erklärte er, während er die Gläser füllte.
    Der Raum wäre ohne die dicht gefüllten Bücherregale und den bequemen Lehnsessel vor dem Fenster trostlos gewesen. Rosa bewunderte die Einlegearbeiten an den Regalen; Familienerbstücke, wie ihr der Pfarrer stolz erzählte.
    »Ich fürchte, wir müssen die Ikonen in Ihrer Kirche beschlagnahmen«, begann Liebhart.
    »Wenn Sie meinen.« Der Pfarrer hob ergeben die Hände und lehnte sich zurück.
    Für ein paar Sekunden war nur das Ticken der alten Standuhr zu hören.
    »Wir wissen, dass Andrzej Zieliński vor seinem Tod bei Ihnen war.« Liebhart sah den Priester fest an. »Was wollte er?«
    Pfarrer Mullner knetete seine Finger. »Er war sehr freundlich, aber auch sehr hartnäckig. Was mich nicht besonders gewundert hat, schließlich hatte er einige Strapazen auf sich genommen, um hierherzukommen. Trotz allem habe ich gespürt, dass er unglaublich viel Kraft und Ausdauer besaß.«
    Er sah aus dem Fenster und schien die Erinnerungen an die Begegnung, die schon einige Wochen zurücklag, aus seinem Gedächtnis zu sammeln, um sie so genau wie möglich wiederzugeben.
    »Er wollte von mir wissen, ob ich ihm Namen nennen könne.«
    »Wessen Namen?«, fragte Rosa.
    »Von Soldaten, die nach dem Ersten Weltkrieg ins Kahlenbergerdorf heimgekehrt sind. Männer, deren Familien trotz des Krieges und der Not plötzlich über ein großes Vermögen verfügten. Er wollte wissen, ob es diese Familien noch gibt und wo sie leben.«
    »Wieso sind Sie mit der Auskunft nicht zur Polizei gegangen, nachdem man Zieliński tot aufgefunden hatte?«, fragte Liebhart.
    »Ich bin seit zwei Jahren hier, und obwohl ich die katholische Kirche vertrete und die Einheimischen sehr gläubig sind, bin ich kein Teil

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