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Wiener Schweigen

Wiener Schweigen

Titel: Wiener Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Strohschein
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hervor. Als er Dr. Ahrans strafenden Blick sah, murmelte er ein schnelles »Entschuldigung«.
    »Aus der Wunde war Blut geflossen und dann im Feuer verschmort. Sobald ein Körper abgekühlt ist und die Totenstarre eingesetzt hat, bluten später zugefügte Wunden nicht mehr. Das bedeutet, dass das Opfer zuerst getötet wurde und danach verbrannt ist.«
    Für einen Moment herrschte Stille.
    »Wenn ich Ihnen einen Gegenstand bringe, können Sie dann feststellen, ob es sich um die Tatwaffe handelt?«
    Dr. Ahran nickte. »Ich werde mein Bestes geben.«
    Als sie kurz darauf vor dem Spital standen, begann Schurrauer, sich die Schläfen zu massieren. Die Sonne brannte auf den Gehsteig. In ihrem grellen Licht war seine Haut noch bleicher als im Sektionssaal. Liebhart telefonierte mit dem Bundeskriminalamt, um das Brustkreuz mit einem Schnelltransport zu Dr. Ahran bringen zu lassen.
    »Ist der herausgebrochene Stein mit dem Blut nicht schon Beweis genug, dass Frau Zehetmair mit dem Kreuz erschlagen worden ist?«, fragte Rosa.
    »Ich fürchte nicht, da die   DNA   unbrauchbar ist und das Blut deshalb nicht eindeutig der alten Frau zugeordnet werden kann«, gab Schurrauer zu bedenken.
    »Wenn das Brustkreuz zum Loch im Schädel passt, dann ist es die Mordwaffe«, meinte Liebhart.
    Rosa schwirrte der Kopf, ihre Kehle war ausgedörrt. Die Hitze verstärkte den Geruch von ausgedämpften Zigaretten, der aus den sanduhrförmigen Behältern vor dem Spital aufstieg. Rosa und Liebhart entschieden, in sein Büro zu fahren. Trotz ihrer Proteste bestand Schurrauer darauf mitzukommen.
    Frau Grand empfing sie in einem aschfarbenen Sommerkleid, in dem sie fast mit den dunklen Büromöbeln verschmolz. Rosa dachte, dass sich das Gemüt von Liebharts Sekretärin in der Farbe ihrer Kleidung widerspiegelte.
    »Was Heißes zu trinken?«
    Liebhart, Schurrauer und Rosa zuckten zusammen.
    »Es hat circa vierzig Grad draußen, wollen Sie uns umbringen?«, fragte Rosa.
    Ein leichtes Lächeln um Frau Grands Mund verriet, dass ihr das bei gewissen Personen durchaus genehm gewesen wäre.
    »Wir sollten das Ganze chronologisch angehen«, meinte Liebhart in seinem Büro und goss für alle Mineralwasser in die dafür bereitstehenden Gläser. »Wenn ihr Fragen habt oder euch etwas einfällt, unterbrecht mich, ich schreibe es auf. Die Geschichte beginnt im August des Jahres 1914 auf einem Hof etwas außerhalb von Zamość.«
    Er stand auf und ging zur Tafel, auf der die Zeitlinie aufgezeichnet war, die mit dem 1. Mai begann, dem Tag, an dem Andrzej Zieliński seine Heimat verlassen hatte. Er zog über der bestehenden Linie eine zweite, schrieb »1914« und »Zamość« an den Anfang und markierte die Stelle mit einem kurzen Längsstrich.
    »Fremde Soldaten fallen 1914 auf dem Hof von Zofia Zieliñskas Eltern ein«, fuhr Liebhart fort. »Gehen wir einmal davon aus, dass die Soldaten tatsächlich aus dem Kahlenbergerdorf waren. Sie haben den Hof geplündert und eine wertvolle Ikone mitgenommen. Höchstwahrscheinlich ist die Ikone nicht das Einzige, was sie geraubt haben. Sie könnten sich auch in den umliegenden Höfen und vielleicht auch in den Kirchen bedient haben.« Er schrieb das Wort »Kirchenschatz« in Klammern und ein Fragezeichen neben die Jahreszahl.
    »1918 endet der Erste Weltkrieg. Soldaten, die überlebt haben, kommen heim. Ein paar sehr wertvolle Stücke finden so ihren Weg von der damaligen Ostfront ins Kahlenbergerdorf«, fügte Rosa hinzu.
    Es wurde still im Raum, alle drei wussten, was jetzt kommen würde. Es hatte den Anschein, als ob keiner beginnen wollte.
    Schließlich fasste Liebhart sich ein Herz. »Kurz nach Ende des Krieges sterben auf einmal fünfunddreißig Menschen. Ein Indiz gibt uns sogar das genaue Datum an: der Zettel, den wir im Brustkreuz gefunden haben und auf dem die folgenden Worte stehen …«, Liebhart schrieb, während er weitersprach: »›Unsre Seelen sind verloren, zu Michaeli hat mit uns im Kahlenbergerdorf der Teufel getanzt.‹«
    »Michaeli ist ein kirchlicher Feiertag am 29. September«, fügte Rosa hinzu.
    Liebhart nickte, schrieb das Datum auf und setzte auf die Zeitlinie darunter einen neuen Längsstrich.
    »Wie sie zu Tode gekommen sind, konnte bis jetzt nicht ermittelt werden. Professor Wankels Untersuchungen laufen noch. Nach seiner Auskunft wurden an den Skeletten Biss- und Nagespuren gefunden, die anderen Gebissen dieser fünfunddreißig Skelette zugeordnet werden können«, fuhr Schurrauer fort

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