Wiener Schweigen
und hielt dabei sein Glas Wasser mit beiden Händen umschlossen.
»Alle fünfunddreißig Menschen wurden in den ehemaligen Sandgruben am Hang des Leopoldsberges verscharrt«, resümierte Rosa. »In einem zwanzig bis fünfundzwanzig Kubikmeter großen Massengrab ohne Sarg, in ungeweihter Erde.«
Die Luft stand im Raum. Es wurde unerträglich heiß, da die Sonne ungehindert durch die hohen Fenster scheinen konnte.
Rosa griff zu ihrem Glas und trank es auf einen Sitz leer. »Von Pfarrer Mullner wissen wir, dass am 1. Oktober 1919 beachtliche Summen an Bußgeld von einigen Familien aus dem Dorf eingegangen sind.«
Liebhart nickte. »Indiz Nummer zwei.« Er zog aus seinem Jackett das Blatt, das sie vom Pfarrer bekommen hatten, und schrieb die Namen der Familien und den Betrag, den sie gespendet hatten, auf die Tafel. »Fünfzigtausend Kronen der Familie Ritzberg, vierzigtausend Kronen der Familie Hofmacher, siebzigtausend Kronen der Familie Saatpichler, dreißigtausend Kronen der Familie Fuhrenbacher.«
Schurrauer pfiff leise durch die Zähne. »Soviel ich weiß, hat sich die Krone nach Ende des Ersten Weltkrieges nie mehr erholt. 1924 hat die Inflation ihren Höhepunkt erreicht, man hat nur mehr mit Millionen Kronen gerechnet.«
Rosa nickte. »Das Geld für die Kirche ist aber fünf Jahre vorher gespendet worden. Da war die Krone noch mehr wert. 1919 hat man für ein paar Schuhe zweihundert bis dreihundert Kronen gezahlt.«
Liebhart und Schurrauer sahen sie erstaunt an.
»Ludwig hat vor drei Jahren ein Heimatmuseum in Brunn eingerichtet. Ich habe zwei Monate damit verbracht, die Preise für Gebrauchsgegenstände, die über hundert Jahre alt waren, herauszufinden.«
»Dann ist das doch ziemlich viel Geld, woher hatten die armen Bewohner des Dorfes das nur?«, überlegte Schurrauer.
»Na, die haben den Kirchenschatz verklopft«, vermutete Rosa.
Liebhart schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Rosa, mit dir gehen schon wieder die Pferde durch!« Dann erklärte er, zu Schurrauer gewandt: »Wir haben heute in der Kirche vom Kahlenbergerdorf zwei Marienikonen gesehen.«
»Die sind sicher von den reuigen Bürgern nach Michaeli gespendet worden. Na ja, mit Diebesgut kann man ja großzügig sein«, sagte Rosa sarkastisch.
Liebhart blickte sie streng an. »Ungefähr neunzig Jahre nach den erwähnten Vorfällen macht sich Andrzej Zieliński aus Zamość auf die Suche nach der Ikone, die seiner Familie gestohlen worden war.« Er trat zurück und starrte auf die Tafel. Bevor er sich zu den beiden anderen setzte, fügte er beim Namen der alten Zehetmair »Brustkreuz« und bei Andrzej Zieliński »Abdrücke eines Oklads an der Stirn« hinzu.
»Am 27. Mai brennt das Haus der Frau Zehetmair im Kahlenbergerdorf ab.« Liebhart nahm einen Schluck Wasser, bevor er fortfuhr.
»Das Brandteam aus Wien konnte noch Reste eines Brandbeschleunigers finden«, warf Schurrauer ein.
»Ist es schon sicher, dass es Benzin war?«
Schurrauer nickte, dann fuhr Liebhart fort: »Wir wissen leider nicht, wann Zieliński bei Frau Zehetmair war. Aber nach seinem Besuch, oder auch währenddessen, wird Frau Zehetmair mit einem vergoldeten Gegenstand erschlagen.«
»Mit ziemlicher Sicherheit mit dem wertvollen Brustkreuz«, sagte Rosa und ignorierte Liebharts strengen Blick. »Ein Türkis bricht durch die Wucht des Aufschlages aus der Fassung, bleibt auf dem Boden liegen und wird später in der Asche des abgebrannten Hauses entdeckt. Das Brustkreuz finden wir in Andrzejs Zimmer.«
»Aus dem Notizbuch Zielińskis wissen wir, dass er mehrere Bewohner des Kahlenbergerdorfes besucht hat und bei Pfarrer Mullner war. Leider hat Andrzej seine Einträge nicht mit dem Datum versehen.« Schurrauer sprach langsam und räusperte sich zwischendurch.
Liebhart nickte. »Mit dem Pfarrer und Setzensberger haben wir bereits gesprochen. Kollegen waren bei Brandstätter und Ritzberg, fehlt noch Hofmacher.« Er stand erneut auf und schrieb »Hofmacher« in die freie Hälfte der Tafel.
»Frau Zehetmair scheint, laut Tagebuch, die Letzte gewesen zu sein, die Andrzej aufgesucht hat. Danach gibt es keine Eintragungen mehr über weitere Besuche«, fügte Rosa hinzu.
»Wozu hat er sich einen botanischen Atlas schicken lassen?«, warf Schurrauer ein. Seine Kopfschmerzen schienen wieder stärker zu werden, er war sehr blass und rieb sich öfter die Schläfen.
Rosa sah ihn besorgt an und stand dann auf, um das Fenster zu öffnen. Sie blieb, an das Fensterbrett
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