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Wiener Schweigen

Wiener Schweigen

Titel: Wiener Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Strohschein
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gelehnt, stehen, spürte die Sonne im Nacken und sah zur Tafel. »Haben wir schon eine Übersetzung des Atlasses oder einiger Teile, damit ich zu lesen beginnen kann?«, fragte sie Liebhart.
    Er nickte und begann, in einem Aktenstapel auf seinem Schreibtisch zu suchen. Dann reichte er ihr circa zwanzig A4-Seiten. »Wir gehen davon aus, dass außer der Ikone noch weitere wertvolle liturgische Gegenstände ins Kahlenbergerdorf gekommen sind. Möglicherweise das Oklad, dessen Abdruck wir auf Zielińskis Stirn gefunden haben, und die dazugehörige Ikone. Die Kommode von Frau Zehetmair war aufgebrochen. Schurrauer hat aufgezwickte Schlösser gefunden, aber keine Spur vom Inhalt.«
    Das Telefon läutete. Liebhart nahm ab, lauschte, bedankte sich und legte wieder auf. »Das war Dr. Ahran, das Brustkreuz passt zum Loch im Schädel von Frau Zehetmair.«
    »Dann ist Andrzej wohl ihr Mörder«, brummte Rosa.
    Liebhart nickte. »Scheint so, aber wer hat ihn und Kobald umgebracht, und wo ist die Ikone, die der junge Pole gesucht hat?«
    Er seufzte und deutete auf die untere Zeitlinie. »Machen wir weiter. Um den 30. Mai wird Zieliński mit einem rundlichen Gegenstand aus Holz erschlagen. Vorher zwingt ihn sein Mörder, die letzten Seiten seines Tagebuches zu schlucken. Nachdem er ihn erschlagen hat, wirft er ihn in das Kuchelauer Hafenbecken. Am Sonntag, dem 1. Juni, geht eine Mure ab. Ein Teil des Hangs des Leopoldsberges rutscht in den Hafen und mit ihm ein bis dato unbekanntes Massengrab.«
    »Am 2. Juni wird Kobald in Wien ermordet. Auf der Tatwaffe, einem Weihwassersprengel seiner Sammlung, befinden sich die Fingerabdrücke von Zieliński«, fügte Schurrauer hinzu.
    »Obwohl sich in der Wohnung wertvollere Gegenstände als die verschwundene Monstranz befinden, nimmt der Dieb und Mörder nur diesen Gegenstand mit.« Rosa wurde die Sonne unangenehm, sie schloss das Fenster und setzte sich wieder.
    »Von der Monstranz fehlt bis heute jede Spur, genauso wie von Kobalds Mörder.« Liebhart zuckte resigniert die Schultern. »Nachdem bekannt geworden war, dass mit dem Murenabgang vom 30. Mai das Massengrab entdeckt worden ist, wurde am Dienstag, dem 10. Juni, ein Molotowcocktail ins Pfarramt geworfen.«
    »Der Mörder konnte sich ausrechnen, dass die Identität der Toten, nachdem es keine offiziellen Bestattungsunterlagen gibt, nur durch das Geburtsregister im Pfarramt festgestellt werden könnte. Aber warum ist es ihm so wichtig, dass niemand erfährt, was da vor etwa neunzig Jahren passiert ist?«, führte Rosa an.
    Es wurde still im Raum.
    »Der Kirchenschatz ist vermutlich einiges wert. Wir haben uns erkundigt, auf viele Weinbaubetriebe laufen Hypotheken. Die meisten Bewohner des Dorfes sind Nebenerwerbsbauern, und das zahlt sich nicht mehr aus. Wenn es ums Geld geht, könnte es jeder gewesen sein. Abgesehen davon versucht das ganze Dorf, das schreckliche Ereignis von damals zu vertuschen«, sagte Liebhart.
    »Nicht das ganze Dorf. Pfarrer Mullner hat die Bäume am Hang des Leopoldsberges abholzen und die Wurzelballen ausgraben lassen. Das hat, in Kombination mit den lang anhaltenden Regenfällen, dazu geführt, dass die Mure abgegangen und das Massengrab ans Licht gekommen ist«, fügte Rosa hinzu. »Ich glaube, der Pfarrer hat uns nicht alles gesagt, was er herausgefunden hat.«
    Das Telefon läutete, Liebhart nahm ab und lauschte. Nachdem er aufgelegt hatte, sah er Rosa und Schurrauer mit großen Augen an.
    »Das war das Labor. Also, um das Ganze jetzt noch verwirrender zu machen: Sie haben eine der   DNA -Spuren von Zielińskis Rucksack zuordnen können.«
    Als Liebhart nicht fortfuhr, wurde Rosa ungeduldig und stieß hervor: »Und, wer ist es: Ritzberg, Hofmacher, Setzensberger, Brandstätter?«
    »Nein, das errätst du sowieso nie. Sie haben die Proben einem Skelett aus dem Massengrab zuordnen können! Professor Wankel hat das Unmögliche möglich gemacht und aus ein paar Oberschenkelknochen   DNA   extrahiert. Sie passt zu einem Menschen, der seit fast neunzig Jahren tot ist.«
    »Das heißt, dass ein Toter aus seinem Grab auferstanden ist, um Andrzej zu ermorden?«, sagte Rosa langsam und sah Liebhart dabei an, als ob er irre geworden wäre.
    Er lächelte. »Nein, so gruselig ist es nicht. Die   DNA   auf dem Rucksack muss von einer Frau stammen, die heute lebt. Und daher wird sie die Enkeltochter eines Mannes oder einer Frau sein, deren Überreste im Massengrab gefunden worden sind.«

17
    Als Rosa nach

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