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Wiener Schweigen

Wiener Schweigen

Titel: Wiener Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Strohschein
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gleiten. Die Kühle des Brunnenwassers war genau richtig, damit er sein gesamtes Aroma entfaltete. Rosa mochte es nicht besonders, wenn Weine im Kühlschrank gelagert wurden.
    Ludwig breitete währenddessen seine Entwürfe auf dem Gartentisch aus. Rosa war noch immer verschlafen und sah, auf ihrer Küchenarbeitsplatte sitzend, Johanna zu, die ein leichtes Zitronendressing für den Salat anrührte.
    »Wie läuft’s im Organkeramikhandel?«, fragte Rosa und nahm einen großen Schluck Wasser, um endlich munter zu werden.
    Johanna verdrehte die Augen. »Wir haben uns auf Organe geeinigt, die sich oberhalb der Gürtellinie befinden, das war ein Kampf!«
    Rosa lächelte, sie bewegte leicht die Zehen, als sich die Katze an ihnen rieb. »Ich stell mich schnell unter die Dusche, sonst werde ich nie munter.«
    Zwei Stunden später hatte sie täuschend echte Entwürfe von Leber, Lunge und Herz bewundert, gemeinsam mit Johanna und Ludwig eineinhalb Flaschen Wein getrunken und ein Drittel des saftigen Schinkens direkt von der Haxe geschnitten und mit Salat gegessen. Sie servierte auch das eingelegte Gemüse der Krautfrau aus dem Kahlenbergerdorf, und es kam bei den beiden so gut an, dass sie ihr alle Vorräte wegaßen.
    Als die Sonne groß und orange am Horizont stand, verabschiedeten sich ihre Gäste, und Rosa begann, das Geschirr in die Küche zu räumen.
    Sie wollte sich noch eine Runde die Beine vertreten, bevor sie sich wieder dem botanischen Atlas widmete. Als sie die Tür öffnete, fiel ihr Blick auf ein dunkles Auto, das in ihrer Auffahrt stand. Daniel Mühlböck lehnte an der Autotür, er sah müde aus.
    Rosa blickte ihn entgeistert an und presste schließlich ein »Ich wollte gerade spazieren gehen, wollen Sie mitkommen?« hervor. Nervös schloss sie ihre Eingangstür ab.
    Er nickte. »Danke, sehr gerne! Verzeihen Sie, dass ich einfach bei Ihnen hereinplatze.«
    »… aber Sie waren zufällig in der Nähe«, leierte Rosa gelangweilt herunter.
    Mühlböck lächelte. Sie schlugen den Weg den Hang hinauf in den Wald ein. Sie zog im Vorübergehen an einem dünnen Birkenzweig. Die zarten grünen Blätter dufteten nach Regen. Sie schob sich ein Blatt in den Mund und kaute darauf herum.
    »Sind Sie schon weitergekommen bei Ihren Recherchen zum gemeinsamen Buch?«, begann er, als sie ein Stück schweigend nebeneinanderher gegangen waren.
    Kurz wusste sie nicht, was er meinte, dann erinnerte sie sich an ihre Notlüge und brummte irgendetwas Unverständliches.
    »Ich wollte Sie eigentlich an das gemeinsame Essen erinnern.« Er sah sie aufmunternd von der Seite an.
    Sie ärgerte sich über ihre Sprachlosigkeit; sie war unsicher, was sie von Mühlböcks Erscheinen halten sollte. Erschrocken stellte sie fest, dass sie nach dem Nachmittagsgelage mit Johanna und Ludwig eine ziemliche Weinfahne haben musste.
    »Es tut mir leid, dass ich nicht angerufen habe«, flüsterte Mühlböck.
    »Hm.«
    Die Straße, die sie gemeinsam entlanggingen, war im Mondschein fast weiß. Wie immer empfing sie das Rauschen der alten Bäume am Wegesrand. Auch wenn die Hitze wie ein schweres Tuch über der Talsenke lag, ging hier auf dem Hügel immer ein wenig Wind. Er fing sich in den Bergahornbäumen und den Zedern und rüttelte an den Wipfeln der drei Fichten, die hinter ihrem Haus standen. Man hörte ihn bis weit hinunter in das Tal, in dem er die Stille aufwirbelte.
    Unvermittelt blieb Mühlböck stehen. »Sie haben nichts von dem verstanden, was in den Unterlagen in der Schachtel stand, hm?«
    Rosa drehte sich zu ihm und schüttelte langsam den Kopf.
    »Und es gibt auch kein Buchprojekt, oder?«
    »Gibt es nicht«, antwortete sie leise.
    »Was haben Sie dann in der Bakk Pharm gesucht?« Er sah sie fest an.
    Sie überlegte kurz, ob sie ihm die Wahrheit sagen sollte. »Ich komme über seinen Tod nicht hinweg. Ich habe gehofft, irgendetwas zu finden, was er mir hinterlassen hat.« Sie wandte sich ab und ging langsam weiter. Mühlböck folgte ihr. »Es heißt immer, dass die Toten im Gedenken der Hinterbliebenen weiterleben. Das ist zwar tröstend, aber was ist mit den Hinterbliebenen selbst? Wie leben die mit den Erinnerungen an die Toten? Das mag für Sie egoistisch klingen, aber Tatsache ist, dass ich es nicht akzeptieren kann, dass mit Paul ein Stück von mir gestorben ist.«
    Rosa beschleunigte ihre Schritte, als sie ihr Haus sah. In der Auffahrt verabschiedete sie sich schnell. Hinter der verschlossenen Tür lauschte sie dem Geräusch von

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