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Wiener Schweigen

Wiener Schweigen

Titel: Wiener Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Strohschein
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drinnen, und wir konnten auch nichts bergen. Der Regen hat alles weggeschwemmt. Sie muss das Zeug auf jeden Fall erst da oben eingenommen haben. Es wirkt in der ersten halben Stunde nach der Einnahme. Also wird sie es im Proviant dabeigehabt haben.«
    Liebhart beschloss, zu Rosas Haus zu fahren und sich dort umzusehen. Er rief Johanna an, die einen Schlüssel hatte.
    Rosas Balkontür war gekippt, und etwas Regenwasser hatte sich auf dem Wohnzimmerboden gesammelt. Während Johanna die Pfützen aufwischte, durchsuchte Liebhart Rosas Speisekammer.
    »Weißt du, ob sie irgendwelche kulinarischen Vorlieben hat, wenn sie wandern geht?«, rief er Johanna von der Küche aus zu.
    »Du meinst, ob sie nur Nüsse oder Rosinen isst? Sie nimmt sich das mit, was sie zu Hause hat. Aber sie geht immer gerne mit Proviant wandern.«
    Liebhart verstaute das schmutzige Geschirr, das er im Geschirrspüler gefunden hatte, in einen Karton. Vielleicht hatte sie sich ja ein paar Brote auf einem Teller geschmiert.
    Die beiden trennten sich. Johanna gab noch der Katze zu fressen, kontrollierte, ob alle Fenster im Haus geschlossen waren, und stieg dann seufzend ins Auto, um ins Flüchtlingsheim zu fahren. Liebhart stellte den Karton in den Kofferraum seines Wagens und brachte ihn nach Wien.
    Paul lachte, er stand mit dem Rücken an die Wand gegenüber von Rosas Bett gelehnt und kuderte. »Du hast mich gerade einen miesen kleinen Gecko genannt. Dabei habe ich dich gewarnt, du solltest nicht ins Schwarze sehen.«
    Rosa versuchte, sich so zu drehen, dass sie ihn sehen konnte. Nach jeder Bewegung ihres Körpers wurde ihr schlecht, und bittere Galle stieg ihr die Speiseröhre hoch. Sie blieb so lange ruhig liegen, bis sich ihr Magen wieder beruhigt hatte.
    »Du stehst hier schon seit Stunden und lachst mich aus«, stöhnte sie und hob vorsichtig die Hand zur Stirn.
    »Du bist zu unvorsichtig, Rosa, ich kann nicht mehr auf dich aufpassen. Du bist ein Hitzkopf und bringst dich immer wieder in Gefahr.«
    »Wer hat dich umgebracht?«
    Paul schüttelte den Kopf, sah sie lächelnd an und verschwand.
    Als Johanna am Vormittag vorsichtig die Tür zu Rosas Zimmer öffnete, fand sie diese aufrecht sitzend und bedächtig an einer heißen, klaren Suppe schlürfend. Als zwei Stunden später Liebhart kam, hatten die beiden gerade einen heftigen Streit beendet und saßen einander mit verschränkten Armen bockig gegenüber.
    Liebhart wollte wissen, was Rosa als Proviant dabeigehabt hatte. Sie konnte sich nicht mehr genau erinnern. Sie zählte Dinge auf, die sie in ihrer Vorstellung während ihres Trips gegessen hatte.
    »Auf jeden Fall muss ich mir meine Zähne ansehen lassen. Ich glaube, mir ist ein Stück ausgebrochen und ich habe meinen Zahnschmelz an einigen Stellen eingebüßt. Der Arzt sagt, dass das nicht von der Droge kommen kann. Ich glaube, mich erinnern zu können, Moos gegessen zu haben, schmeckt nicht schlecht. Vor allem habe ich mich ein paar Minuten davor noch mit ihm unterhalten. Man baut eine ganz andere Bindung zu Lebensmitteln auf, wenn man mit ihnen sprechen kann.«
    »Der Arzt meint, dass du dich vielleicht in ein paar Tagen wieder erinnern kannst. Wir haben an deinem Geschirr keine Spuren eines Gifts entdeckt. Bist du sicher, dass niemand dir aufgelauert und dich gezwungen hat, irgendetwas zu essen?«
    »Da bin ich mir ganz sicher. Ich bin niemandem begegnet.« Über ihr Gesicht huschte ein dunkler Schatten. »Die letzten vierundzwanzig Stunden waren furchtbar. Ich möchte so etwas nie wieder erleben.«
    »Ja, Schätzchen, so kann es einem ergehen, wenn man Drogen nimmt«, sagte Johanna. »Die Mehrheit berichtet von bewusstseinserweiternden Erfahrungen, nur du wirst zu einer verbitterten Handarbeitslehrerin, das muss man einmal fertigbringen.«
    Liebharts Telefon läutete, er verließ kurz das Zimmer. In der Zwischenzeit verabschiedete sich Johanna und versprach, Rosa morgen wieder zu besuchen. Man wollte sie noch über das Wochenende zur Beobachtung im Spital behalten und am Montag entlassen. Rosa fuhr mit der Zunge ihre empfindlichen Zähne entlang, die fremde, scharfe Kante am abgebrochenen Zahn war besonders interessant. Als Liebhart wieder eintrat, sagte er zu ihr: »Beim Pfarrhaus handelt es sich um Brandstiftung.«
    »Lass mich raten: mit Benzin.«
    Liebhart nickte.

20
    Johanna holte Rosa vom   AKH   ab und brachte sie nach Hause. Sie hatte eingekauft, da Liebhart alle Lebensmittel aus dem Haus ins Labor gebracht hatte. Sie wussten

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