Wiener Schweigen
Zikaden begannen laut zu singen, als die Kerzen im Restaurant angezündet wurden und die vier ihren Badeplatz verließen.
Zu Hause schaltete Rosa ihr Notebook ein und ging ins Internet. Bis um neun Uhr las sie dort Artikel über Scopolamin und Hyoscyamin und in welchen Pflanzen es zu finden war. Danach stieg sie in ihr Schlafzimmer hinauf und schlief wie ein Stein.
»Das sieht nicht gut aus, was ist denn da passiert?«, fragte der Zahnarzt, während er Rosas Gebiss untersuchte.
Rosa hatte schon im Wartezimmer überlegt, ob sie dem Arzt von ihrem Trip erzählen sollte. Sie versuchte, mit weit geöffnetem Mund eine Antwort zu geben, natürlich ohne Erfolg. Erst als der Arzt einen Schritt zurücktrat und sie ansah, antwortete sie: »Ich muss auf irgendetwas herumgekaut haben.«
»Sie haben nicht auf irgendetwas herumgekaut, sie haben mit ihren Zähnen gewütet. Das muss doch schon währenddessen wehgetan haben?«
»Nein, ich habe gar nichts gemerkt …« Rosa sprach das letzte Wort langsam und gedehnt aus und glotzte dabei den Arzt an.
Da war er, der Moment, auf den sie gewartet hatte. Ein kleiner Mosaikstein hatte seinen Platz gefunden und ein großes Bild ergeben. Rosa konnte den Zusammenhang der seltsamen Ereignisse im Kahlenbergerdorf nun erkennen. Vom Rest der Behandlung bekam sie nichts mehr mit, so abgelenkt war sie von ihren Gedanken. Sie verließ zerstreut die Praxis und schlug langsam den Weg zu ihrem Auto ein. Der kleine Absatz ihrer offenen Sommerschuhe schlug bei jedem Schritt auf den Gehsteig.
Im Rhythmus ihrer Schritte murmelte sie: »Bilsenkraut, Hyoscyamus niger« – klack – »Alraune, Mandragora officinarum« – klack – »Stechapfel, Datura stramonium« – klack.
Als sie zu Hause angekommen war, nahm sie die Übersetzung des botanischen Atlasses und ging damit auf ihre Terrasse.
Die Katze kam aus einem ihrer Verstecke und legte sich neben Rosa auf die von der Sonne erwärmten Terrassensteine. Rosa beugte sich leicht zu ihr und kraulte ihr das Fell. Die Pfoten waren schmutzig, und die sonst zarte Haut der Ballen wurde im Sommer durch das Jagen und die Bewegung im Freien hart. Winzige Kletten hingen im Fell, Rosa zupfte sie gedankenverloren heraus, während sie im Atlas blätterte. Als sie ihre Vermutung bestätigt fand, schlug sie mit der flachen Hand auf das Papier, sodass die Katze erschrocken aufsprang.
»Du warst auf der richtigen Fährte, Andrzej«, sagte sie laut zu sich selbst.
Sie bemerkte nicht, wie es Nachmittag wurde und die Schatten länger wurden. Seit Stunden saß Rosa auf ihrer Terrasse und unterdrückte den Impuls, einfach wieder draufloszurennen und den Fall im Alleingang zu lösen. Sie überlegte, wie sie Liebhart ihre Entdeckung erklären sollte.
Als sie auf die Uhr sah, war es vier vorbei. Sie rief die Auskunft an, fragte nach Professor Wankels Telefonnummer und erwischte ihn gerade noch im Naturhistorischen Museum.
»Können Sie in den Knochen der Toten noch Drogen nachweisen?«
»Wenn Sie mir sagen, welche Drogen Sie meinen, kann ich es ja versuchen«, antwortete er.
»Suchen Sie nach Scopolamin und Hyoscyamin.«
»Und wie kommen Sie darauf, wenn ich fragen darf?«
»Ich bin mir sicher, dass Sie mit der Antwort rein gar nichts anfangen könnten.«
Am anderen Ende der Leitung herrschte ein paar Sekunden Schweigen, bis Professor Wankel antwortete: »Scopolamin und Hyoscyamin sind Alkaloide. Sie wirken zentralerregend oder zentralsedierend und beeinflussen den peripheren Kreislauf und das Vegetativum. Leider werden sie auch sehr schnell abgebaut. Ich bräuchte Haare, um diese Art der Vergiftung nachweisen zu können. Bei fast neunzig Jahre alten Knochen habe ich da so meine Zweifel.«
Rosa legte auf und dachte ein paar Minuten nach. Dann stand sie auf und lief ins Haus, um Liebhart anzurufen.
Er hörte ihr lange zu, sie sprachen über eine Stunde miteinander und wogen das Für und Wider ab. Der Chefinspektor kam zu dem Schluss, dass sie zu wenig Beweise für eine Verhaftung hatten; er ordnete eine Observierung an.
Der Samstag zog sich. Rosa, Liebhart und Schurrauer gingen noch einmal alles durch. Liebhart hatte beschlossen, bis zum Ende der kommenden Woche zu warten, bis dahin sollten auch die Untersuchungsergebnisse von Professor Wankel eingetroffen sein. Danach wollte er zuschlagen.
»Wenn Professor Wankel keine Ergebnisse liefern kann und die Observation nichts bringt, muss ich halt pokern«, meinte er augenzwinkernd.
Er teilte Rosa seine Sorge über
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