Wiener Schweigen
gefärbt. Sie musste immer wieder schlucken, ihre Schleimhäute waren vollkommen ausgetrocknet. »Kein toter Mann wird je mein Haus betreten; ich möchte dorthin zurück, und Sie haben nicht das Recht, mich hier festzuhalten … kein toter Mann … kein Recht. Zwei wieder aufnehmen und drei lassen … dann links …«
Man hatte sie an das Bett gebunden, da sie sich die Infusionsnadel, die eine Kochsalzlösung in ihre Venen leiten sollte, durch ihre fahrigen Bewegungen immer wieder aus dem Arm gerissen hatte. Das Ergebnis der Blutuntersuchung würde erst gegen Nachmittag vorliegen. Der Arzt hatte jedoch schon eine Vergiftung diagnostiziert und angeordnet, durch Aktivkohle das Gift aus Rosas Körper zu schwemmen.
Ihr war nicht viel passiert, sie war lediglich stark unterkühlt gewesen und hatte sich eine Hand verstaucht. Ihr Fall war durch ein paar Latschenkiefern, die in der Felswand wurzelten, abgefangen worden. Neben zahlreichen Abschürfungen hatte sie noch eine Menge blauer Flecken davongetragen.
Liebhart betrat das Zimmer und schloss leise die Tür hinter sich.
»Sie werden sich nicht einfach so vordrängen; ich weiß, wie ich mich wehren kann«, sagte Rosa zu ihm und sah ihn vorwurfsvoll an.
»Immer noch nichts Neues?«, fragte er Johanna.
»Nein«, brummte diese, »ich weiß ja nicht, was mit ihr passiert ist, nur muss sie verdammt noch mal die ganze Zeit wie eine geisteskranke Handarbeitslehrerin reden?«
Eine Schwester betrat das Zimmer und forderte beide auf zu gehen. Sie könnten sowieso nichts machen, und vielleicht beruhige sich die Patientin ja, wenn sie allein sei.
Als sie bei Ludwig und Yvonne im Warteraum saßen, jeder einen dampfenden Becher Automatenkaffee in der Hand, wollte Liebhart von Johanna wissen: »Hat sie irgendetwas zu dir gesagt, auf das du dir einen Reim machen kannst?«
»Nein, glaub mir. Ich habe ihr eine Stunde sehr gewissenhaft zugehört. Sie beschwert sich unaufhörlich, und wenn ich sie angesprochen habe, hat sie nicht auf mich reagiert. Und dann das ewige ›Links herum, zwei lassen‹, ich habe keine Ahnung, was das zu bedeuten hat. Gut, dass die Krankenschwester uns rausgeschmissen hat, es hat nicht viel gefehlt, und ich hätte Rosa einfach eine geknallt. Selten ist mir das Gerede eines Menschen so auf die Nerven gegangen.«
»Es ist vier Uhr morgens, wir sollten nach Hause fahren«, meinte Liebhart in die entstandene Stille.
Sie nickten alle und standen müde auf.
Rosa schlief erst gegen acht Uhr morgens ein. In ihren wirren Träumen vernahm sie ununterbrochen das Pochen eines Knüppels an die Wand eines Holzfasses. Nach einem leichten Dämmerschlaf erwachte sie mit ausgetrocknetem Mund und hatte einen sauren Geschmack auf der Zunge. Ihr Kopf schmerzte so stark, dass sie sich im Bett zusammenkrümmte. Schlagartig wurde ihr übel, und sie erbrach einen hellen Speisebrei quer durchs Zimmer. Ihre Hand zitterte, sie war schweißnass und schaffte es gerade noch, die Schwester zu rufen. Dann fiel sie wieder in einen dämmrigen Schlaf.
Dieser Zustand dauerte noch bis zum Morgen des nächsten Tages. In den kurzen Wachphasen wurde sie von Schüttelfrost gebeutelt und erbrach sich in einem fort. Ihr Blutdruck sank in den Keller, was die Übelkeit noch verstärkte. Sie lag im eigenen kalten Schweiß und konnte keinen klaren Gedanken fassen, da ihr Kopf fast zu zerspringen drohte.
Am Nachmittag kam Liebhart, doch er wurde nicht zu ihr gelassen. Man gab ihm einen Blutbefund, den er noch im Spital an Schurrauer ins Büro faxte. In Rosas Blut war eine hohe Menge an Scopolamin und Hyoscyamin festgestellt worden. Halluzinogene Drogen, die besonders in Nachtschattengewächsen vorkommen.
»Diese Pflanzen werden seit Jahrhunderten genutzt und leider auch missbraucht. Sie bewirken nach Verabreichung von fünf bis fünfzig Milligramm ein Delirium, das die Vorstellung unterstützt, fliegen zu können. Daher auch die Anwendung in Hexensalben und -getränken im Mittelalter«, klärte Schurrauer Liebhart am Telefon auf. »Ist die Dosierung zu hoch, kann es zu Harnsperre und Herzrasen bis hin zu Herzrhythmusstörungen und Kammerflimmern kommen. Innerhalb von vierundzwanzig Stunden tritt dann der Tod ein.«
Liebhart biss sich auf die Lippen. »Was meinst du, wie sie das Zeug zu sich genommen hat?«
»Keine Ahnung. Wir haben ihren Rucksack an einem Ast hängend gefunden, sie dürfte ihn in der Hand gehalten haben, als sie gefallen beziehungsweise gesprungen ist. Es war leider nichts mehr
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