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Wiener Schweigen

Wiener Schweigen

Titel: Wiener Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Strohschein
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erhob sich. Liebhart sah ihr nach; als sie in der Dunkelheit verschwunden war, drehte er sich um und setzte seinen Weg fort.
    Als Ludwig die Brüstung der Plattform erreicht hatte, war es vollkommen finster. Wäre die Nacht klar gewesen, hätte er besser sehen können, doch von Osten kam eine dunkle Gewitterfront auf Wien zu. Ludwig schrie Rosas Namen, seine Worte wurden vom Wind vertragen. Er stolperte über einen Stein und fing sich gerade noch, bevor er auf den harten Boden knallte. Der Lichtkegel seiner Taschenlampe zitterte. Er spürte die ersten Regentropfen, die der Wind in sein Gesicht blies. Das Plateau war nicht besonders groß, und so hatte Ludwig ein paar Minuten später alles abgesucht.
    Gerade als er aufgeben wollte, sah er etwas flattern. Er ging im immer stärker werdenden Wind auf das Kleidungsstück zu. Es war eine dünne Strickweste, die Ludwig als Rosas erkannte. Sie lag am Boden unter einer Bank.
    Das Gewitter würde bald den Leopoldsberg erreichen. Donner erschütterte den Felsen, und Blitzsalven zuckten über den Himmel. Ludwig suchte unter der Bank nach weiteren Hinweisen, nach ein paar Minuten ging er zur Brüstung und leuchtete den Hang hinunter. Da die Lampe zu schwach war, fiel der Lichtkegel nur ein paar Meter über die Felsen in die Tiefe. Er wurde von dem nun einsetzenden Regen reflektiert. Ludwig kniff die Augen zusammen, auf einem Felsvorsprung circa fünfzehn Meter unter sich sah er ein buntes Stück Stoff und einen Arm. Bestürzt brüllte er erneut Rosas Namen. Der Arm bewegte sich leicht. Der Rest des Körpers wurde von einer Latschenkiefer verdeckt, deren Äste im Wind hin und her peitschten.
    Schimpfend rutschte Liebhart den Nasenweg hinunter. Er hatte Schuhe mit starkem Profil an, sonst hätte er keinen Schritt mehr gehen können. Der Regen prasselte auf seinen dicken Umhang aus Ölzeug, strömte in regelrechten Bächen zwischen den Felsen entlang und stürzte über ihre Kanten in die Tiefe. Donner wurde von Blitz abgelöst.
    Als Liebhart das Plateau erreicht hatte, rief er nach Rosa und Ludwig, doch das Gewitter war lauter. Er ging weiter und sah im zuckenden Licht eines Blitzes eine Gestalt über die Brüstung des Ravelin steigen. Als er näher kam, konnte er Ludwig erkennen. Er lief auf ihn zu und schrie immer wieder seinen Namen.
    Ludwig zeigte den Hang hinunter. »Sie ist da unten, da unten!«
    Ein Blitz zerriss die Luft und fuhr in einen Felsen, nur ein paar Meter von den beiden weg.
    Liebhart ließ sich erschrocken auf den Boden fallen. Er starrte in den Abgrund und konnte gar nichts erkennen, seine Taschenlampe ging aus, und auch mit Ludwigs konnte man kaum einen Meter weit mehr sehen.
    Im Auto sitzend sah Johanna dem Regen zu, wie er die Zweige der Tannen zu Boden bog. Der Wind hatte Holz und altes Laub aus dem Wald geweht und es auf den Wagen prasseln lassen.
    Durch das Unwetter hörte sie nicht, wie die Bergrettung mit zwei Autos auf den Parkplatz fuhr. Als sie sie bemerkte, stieg Johanna aus und war in Sekunden bis auf die Unterwäsche durchnässt. Sie eilte auf die Einsatzkräfte zu und deutete den Nasenweg hinunter.
    Liebhart überlegte einen kurzen Moment, einfach zu springen. Doch konnte er sich gerade noch zurückhalten und suchte nun in fieberhafter Eile die Felswand nach einem Steig ab, auf dem er zu Rosa gelangen konnte. Noch bevor er die Wand mit Ludwigs Taschenlampe ausgeleuchtet hatte, wusste er, dass er bei diesem Wetter keine Chance hatte.
    Im Nachhinein konnte er nicht mehr sagen, wie lange Ludwig und er dort im Nassen lagen und unaufhörlich nach Rosa brüllten. Als vom schmalen Weg Lichtkegel auftauchten, sprang Liebhart auf und begann, wie wild mit den Armen zu wedeln.
    Die Bergung dauerte über eine Stunde. Liebhart und Ludwig standen frierend und trotz Regenschutz vollkommen durchnässt etwas abseits, um die Rettungskräfte nicht zu behindern. Ein Arzt, der an einem Seil in die Tiefe gelassen wurde, untersuchte Rosa sofort vor Ort. Er stellte keine lebensbedrohenden Verletzungen fest. Sie delirierte, und als man sie, auf einer Bahre festgeschnallt, nach oben hob und ihr Kopf langsam über der Felskante auftauchte, konnte Liebhart im Schein der starken Bergungslampen sehen, dass sie lächelnd in einem fort sprach und den Kopf hin und her wand.
    »Sie sollten wissen, dass ich mir das nicht gefallen lasse. Zwei herum, drei links …«, sagte Rosa mit heiserer Stimme zu Johanna.
    Ihre Pupillen waren erweitert, die Haut an Hals und Kopf hochrot

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