Wienerherz - Kriminalroman
an sich, das nervös machte. Sie ließ ihn an religiöse Eiferer oder notorische Querulanten denken. So jemanden hatte man nicht gern in der Wachstube, und von so jemandem wollte man schon gar keine Anzeige entgegennehmen. Die Sorte Personen wurde man sonst nicht mehr los. Auch er spürte seine Geduld wie Eis in der Sommersonne schmelzen.
»Weshalb wollten Sie denn eine Anzeige erstatten?«, erkundigte er sich trotzdem höflich.
»Vor meiner Mutter in der Küche gerade eben wollte ich nichts sagen. Sie weiß davon nichts. Aber als Sie den Namen Dorin nannten, lief es mir kalt den Rücken hinunter.«
Das Gehabe der Wichtigtuerin strapazierte seine Nerven.
»Ich war zufällig dabei, als mein Vater vergangene Woche von Florian Dorins Tod erfuhr. So wie nach dieser Neuigkeit hatte ich ihn mein ganzes Leben noch nie gesehen. Er wurde kalkweiß, begann zu zittern. Fahrig kramte er in seinen Taschen, bis er sein Handy fand. Dabei stammelte er vor sich hin: ›Mein Gott! Mein Gott!‹ Zu mir sagte er dann: ›Das war kein Selbstmord. Mein Gott! Jetzt bin ich der Nächste.‹ Dann ging er in den Nebenraum und telefonierte. Mit wem oder worüber konnte ich nicht hören.«
Spazier wusste nicht, was er von der Geschichte halten sollte. Die unglückliche Art der Frau machte ihn noch skeptischer, als er ohnehin sein musste bei solchen Aussagen. Da half kein inneres Mahnen an Professionalität.
»Wollen Sie damit sagen, Ihr Vater glaubte, dass Florian Dorin ermordet wurde? Und dass sein eigener Herzinfarkt auch keine natürliche Ursache gehabt habe?«
Sie fixierte ihn.
»Ich sage nur, was ich gesehen und gehört habe.«
Autodrom
Am Vortag erst war Doreen Niklic vom Flughafen gekommen, jetzt fuhr sie schon wieder hinaus. Sie kam sich vor wie ihr Vater in seinen schlechtesten Zeiten. Während ihrer Kindheit hatte sie ihn jahrelang kaum gesehen, weil er so oft auf Reisen gewesen war. Eigentlich wollte sie das anders machen. Andererseits hatte sie keine Kinder – noch. Und heute musste sie auch nur Daniel abholen.
Sie kannte den Franzosen von einem Medienkongress in Barcelona vor zwei Jahren, seither hatten sie Kontakt gehalten. Vor zwei Monaten hatte er plötzlich angerufen und gefragt, ob sie mit ihm an einer Geschichte arbeiten wolle. Er hatte sehr geheimnisvoll getan und war extra nach Wien gekommen. Nachdem er ihr die Erkenntnisse seiner bisherigen Recherchen erzählt hatte, wusste sie, warum er so vorsichtig war.
Niklic liebte ihren Austin-Healey, aber sie war keine britische oder hanseatische Cabrioletfahrerin, die zu jeder Jahreszeit ihren Kopf in den Fahrtwind strecken musste. Der Oktobertag war zu nebelig und kalt, weshalb sie den Mini genommen hatte. Am Flughafen stellte sie den Wagen im Parkhaus ab.
Die Anzeigetafel über dem Ausgang verkündete, dass Peloqs Maschine ein paar Minuten früher als geplant gelandet war. Sie hielt sich gern in den Ankunftshallen von Flughäfen auf. Die neugierigen, freudigen Gesichter der Reisenden und jener, die sie empfingen. So viele verschiedene Menschen! Alle Hautfarben, alle Kleidungsstile, vom Anzug bis zum Sari. Was es wohl mit dieser fernöstlich aussehenden Familie auf sich hatte, die auf einem großen Wagen einen Berg von Koffern und Kartons vor sich herschob, auf dem zwei kleine Kinder thronten? Und aus welchem Flieger von einem der Urlaubsziele da oben auf der Tafel kamen diese braun gebrannten Menschen, die in ihrer sommerlichen Kleidung hofften, noch ein wenig Urlaubsgefühl in den grauen Wiener Oktobertag zu retten?
Niklic hatte kaum begonnen, den Ankommenden, die zwischen den zwei großen Schiebetüren herausströmten, zuzusehen, da entdeckte sie bereits Peloq. Er war eine drahtige Gestalt mit schwarzem Lockenkopf und Augen von derselben Farbe. Er zog ein Bordcase hinter sich her, über seiner Schulter hing eine Computertasche. Ein herzliches Hallo im Gedränge, dann zum Auto.
»Ah, schönes Wetter«, stellte Peloq fest, mit einer sonoren Stimme und einem französischen Akzent, der jedes Frauenherz zum Schmelzen brachte. »Verglichen mit Paris, dort hat es geschüttet.«
Sie luden sein Gepäck ein und fuhren auf die Autobahn, die den Flughafen Schwechat mit der Stadt verband.
»Ich war noch nie im Herbst in Wien«, stellte der Franzose fest.
»Wien ist zu jeder Jahreszeit phantastisch«, erklärte Niklic. »So wie Paris.«
Sie lachten.
»Da rechts beginnt bereits der Prater«, sagte sie. Hinter den Leitschienen der Autobahn, die hier auf Stelzen in etwa
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