Wienerherz - Kriminalroman
etwas angestellt hat«, sagte sie.
»Eigentlich suche ich Ihre Schwiegertochter. Sie hat gesagt, dass ich sie heute hier finde.«
»Aber sicher. Gleich am Ende der Ausgabe, beim Pudding. Darf ich Ihnen etwas anbieten? Heute haben wir Gemüsesuppe, Spinat mit Augsburger Würsteln, Kartoffelpuffern und Spiegelei. Als Dessert gibt es den schon erwähnten Pudding. Vanille oder Schoko.«
»Ich will hier niemandem etwas wegessen.«
»Zum Essen sind die Sachen da. Probieren Sie, eine kleine Portion meinetwegen.«
Freund ließ sich einen Teller beladen und ging weiter zum Pudding. Ihn verteilte die Schwangere. Wie ihrer Schwiegermutter sah man der attraktiven Frau sofort an, woher sie kam. Haarschnitt, Kleidung, die selbstverständliche Art, sich zu bewegen.
»Herr Inspektor«, begrüßte sie ihn. »Mit Mutter haben Sie ja schon geredet. Wie Sie sehen, bin ich noch beschäftigt. Essen Sie in Ruhe, ich komme dann zu Ihnen. Pudding?«
»Gern.«
Wenn Claudia ihn sehen würde.
Mit seinen zwei Tellern suchte er einen freien Platz. Er gestand sich ein, dass er sich die meisten Anwesenden nicht freiwillig als Tischgenossen aussuchen würde. Die drei, bei denen er schließlich landete, würdigten ihn nur eines kurzen Blicks, bevor sie ihr Essen weiter verschlangen. Nur einer erwiderte seinen Gruß, widmete sich aber gleich wieder seinem Würstel.
Schweigend, schmatzend, schlürfend nahmen sie ihre Mahlzeit zu sich. Freund hatte sich weniger geben lassen. Er aß langsam und mit Bedacht. Unauffällig beobachtete er die Menschen im Raum. Das hier war die Gegenwelt zu Florian Dorins Schloss und Jacht. In seinen Anfangsjahren in den Regionalkommissariaten hatte er öfter mit Obdachlosen zu tun gehabt, vergleichsweise harmlose Einsätze, Trunkenheit mit all ihren Folgen, kleine Diebstähle, Bettelei. Den Umgang mit ihnen hatte er erst lernen müssen. Nicht zu viel Mitleid, aber Einfühlungsvermögen, deutliche Worte, aber keine Härte. Eine Ausnahme bildeten die Junkies. Wenn sie Stoff brauchten, waren sie zu vielem imstande. Im Gewaltdezernat hatte er am ehesten mit ihnen zu tun.
Der Erste war fertig mit seiner Hauptspeise, schob den Teller zur Seite und stellte seinen Pudding vor sich hin. Dabei sah er kurz zu Freund und krächzte: »Kiwara, gö?«
Der Mann kannte seine Pappenheimer.
»Und Sie?«, fragte Freund.
Das überraschte den anderen dann doch. Er sah von seinem Pudding hoch, strafte Freund mit einem Blick und löffelte weiter.
Langsam leerte sich der Raum. Die Essensausgabe war beendet. Bald saß Freund allein an seinem Tisch. Bis sich Dorothea Dorin zu ihm gesellte.
»Nennen Sie mich Do«, sagte sie.
Sofort musste Freund an die Liste der Haushälterin denken.
»Wie weit sind Sie?«, fragte Freund, mit einer Geste auf den Bauch.
»Siebter Monat.«
»Und da arbeiten Sie noch?«
»Ich bin bereits in Karenz. Die Tätigkeit hier ist karitativ. Ich helfe meiner Schwiegermutter zwei- bis dreimal pro Woche für ein paar Stunden. Als ich noch gearbeitet habe, war es viel weniger, einmal im Monat vielleicht.«
»Ihre Schwiegermutter ist öfter hier?«
»Sie hat das Haus gegründet. Mit eigenem Geld und Spenden gekauft, adaptiert und eingerichtet. Hier können jeden Tag hundert Menschen verköstigt werden, es gibt fünfzig Notbetten und zehn Wohnungen, in denen Langzeitgäste in Wohngemeinschaften leben.«
Im Hintergrund sah Freund Annemarie Dorin die leeren Großtöpfe reinigen. Sein Bild von der Frau hatte sich gerade radikal gewandelt.
»Friedahaus«, erklärte Do Dorin. »Benannt nach ihrer Mutter.«
»Wie lang macht sie das schon?«
»Über fünfundzwanzig Jahre. Zum Glück gibt es noch andere solche privaten Initiativen in Wien.«
»Und Sie helfen auch mit.«
»Hier arbeiten fast nur Hausgäste und Freiwillige. Letzteres könnten natürlich mehr sein. Obwohl wir nicht klagen können. Meine Schwiegermutter ist sehr geschickt darin, Helfer zu rekrutieren. Heute stehen beispielsweise Mitarbeiter eines großen Elektronikkonzerns, einer Kunstgalerie und einer Versicherung in der Küche, darunter zwei Vorstände. Wundern Sie sich nicht. Es gibt einige karitative Einrichtungen in Wien, sowohl private als auch politischer Institutionen und der öffentlichen Hand, die regelrecht als sozialer Treffpunkt für Manager dienen. Die schlagen dabei zwei Fliegen mit einer Klappe: Sie bekommen das Gefühl, etwas Gutes zu tun, und können gleichzeitig Kontakte knüpfen.«
Wahrscheinlich gehen sie anschließend in ein
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