Wienerherz - Kriminalroman
ganz besonderen Grund haben.
»Florian Dorin wurde heute tot aufgefunden?«
Das war es also.
»Selbstmord, habe ich gehört?«
»Sieht so aus.«
»Dann ist die Geschichte also erledigt?«
»Obduktion und Technikergebnis stehen noch aus.«
»Werden auch nichts ergeben«, brummte der Pepe.
War das eine Feststellung oder ein Befehl? Noch nie hatte Freund von diesem Präsidenten eine Weisung – oder auch nur einen Hinweis – bekommen, einen Fall zu den Akten zu legen, ohne ihn geklärt zu haben.
»Wichtige Leute?«, fragte Freund.
»Wäre ich sonst hier?«
»Ich halte Sie auf dem Laufenden.«
»Bitte.«
Freund besprach die neuen Erkenntnisse aus den Nachtfällen mit seinem Team. Viel war es nicht. Nachbarn der Frau, die ihrem Mann den Hals aufgeschlitzt hatte, bestätigten, dass sie immer wieder Streitereien gehört hatten. Mehrere Polizeieinsätze wegen häuslicher Gewalt waren aktenkundig. Die Frau hatte ihn zweimal wegweisen, schließlich aber immer wieder zurückkehren lassen. Die Dynamik solcher Beziehungen hatte Freund bis heute nicht durchschaut. Obwohl sie mehrere Fälle pro Jahr hatten, die so oder ähnlich endeten. Und das waren nur jene, bei denen schließlich ein Team der Gewaltgruppen ermitteln musste. Die zahllosen anderen, bei denen es »nur« für blaue Augen und gebrochene Kiefer gereicht hatte, kamen oft gar nicht bis zu ihnen.
In Wagners und Petzolds Fall suchte man noch nach einigen Teilnehmern der Auseinandersetzung.
Das Telefon unterbrach ihre Unterhaltung, die eigentlich ohnehin zu Ende war. Es war Leopold Dorin.
»Ich bitte Sie um Entschuldigung für meinen Ausbruch vorhin«, erklärte er zur Einleitung.
»Kein Problem. Das ist eine ganz normale Reaktion«, erwiderte Freund.
»Ich habe eine Bitte.« Er machte eine Pause, bevor er fortfuhr. »Meine Eltern wollen Florian sehen. Ich weiß nicht, warum sie sich das antun wollen. Aber es ist ihr Wunsch. Ist das möglich?«
Freund wusste nicht, ob die Gerichtsmedizinerin bereits obduziert hatte. Ein relativ sicherer Suizid wurde nicht so dringend behandelt wie zweifelhaftere Fälle oder eindeutige Gewalttaten.
»Rufen Sie mich in zehn Minuten noch einmal an, bitte. Ich kümmere mich darum.«
Er telefonierte mit Wanek. Sie war gerade dabei.
»In einer Stunde bin ich fertig. Danach können sie kommen.«
Nach zehn Minuten rief Leopold Dorin wieder an. Sie vereinbarten fünf Uhr.
Um vier Uhr meldete sich die Gerichtsmedizinerin bei Freund.
»Die Eltern von dem Suizid wollten doch um fünf kommen«, sagte sie. »Kannst du eine halbe Stunde vorher da sein?«
»Das ist ja gleich.«
»Deshalb rufe ich an.«
»Bin unterwegs.«
Dass Wanek ihn noch vor dem Termin hinbestellte, gefiel ihm nicht. Am Vortag war er mit dem Fahrrad zur Arbeit gekommen, das unten auf ihn wartete. Er plagte sich die Berggasse hinauf, bis er absteigen und schieben musste. Ab der Währinger Straße konnte er wieder fahren. Er nahm den Weg durch die Schwarzspanierstraße, an der Nationalbank vorbei und durch das alte AKH . Das unter Kaiser Joseph II . 1784 zu einem Allgemeinen Krankenhaus umgebaute ehemalige Armenhaus hatte vor ein paar Jahren als Universitätscampus mit Studentenheimen und Lokalen eine neue Bestimmung gefunden. Die zahlreichen grünen Innenhöfe dienten aber auch den Anwohnern der umliegenden Bezirke als Spazierwege. An seinem untersten Spitz lag die Gerichtsmedizin.
»Muss ich was sehen?«
Freund hielt sich ungern in der Obduktionshalle auf. Noch weniger mochte er den Anblick der Toten.
»Ich erzähle dir einfach, was ich gefunden habe«, sagte Romana Wanek. Sie ließ Dorins Leichnam zugedeckt.
Freunds schlechte Laune, die eingesetzt hatte, als Wanek angerufen und den Suizid nicht vorbehaltlos bestätigt hatte, wuchs.
»Was der Fall sein muss, sonst hättest du mich nicht herbestellt.«
»Florian Dorin war nach meinem momentanen Stand nicht krank«, erklärte Wanek. »Ich habe das genauer untersucht, weil sein Bruder den Gewichtsverlust erwähnt hatte. Für ein endgültiges Urteil müsste man natürlich seine Ärzte finden und fragen.«
»Das Gewicht kann auch andere Gründe haben.«
»Höchstwahrscheinlich.«
»Wann ist er gestorben?«
»Mitternacht, plus/minus eine Stunde.«
»Was hast du gefunden?«
»Erstens hatte er einen hohen Alkoholgehalt im Blut, mehr als 2,7 Promille.«
»Na servus! Das allein genügt ja schon, um sich umzubringen. Hat sich Mut angetrunken.«
»Kommt häufig vor. Ein Wunder, dass er überhaupt
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