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Wienerherz - Kriminalroman

Wienerherz - Kriminalroman

Titel: Wienerherz - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: emons Verlag
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meinem Alter vergisst man ja so schnell, also, nicht dass Sie glauben, ich kann mich schon an viel erinnern, in siebzig Jahren erlebt man ja so einiges, ich hab ja sogar noch den Krieg …«
    »Da hat der Herr Komeska aber noch nicht hier gewohnt …«
    »Der, was? Nein, nein! Der ist erst seit ein paar Jahren da, die Wohnung hat ihm sein Vater besorgt, der war ja ein hohes Tier bei der Gewerkschaft oder der Partei oder bei beiden … aber was red ich, so haben die meisten von uns ja ihre Wohnungen hier …«
    »Sie erinnern sich doch ganz gut. Wissen Sie denn, wann der Herr Komeska …?«
    »Ah ja, natürlich, der Komeska, das muss, ja, das muss vor, Jessas, das ist ja schon zwei Wochen her!«
    »Und danach haben Sie ihn nicht mehr gesehen?«
    »Jetzt, wo Sie es sagen … Herrschaften, das ist interessant. Warum räumt der sein ganzes Gepäck ein und bleibt dann noch … na, zwei Tage lang war der sicher noch da.«
    »Und dann war er weg?«
    »Dann war er weg.«
    Die Praxis von Komeskas Schwester Trude, Psychotherapeutin, lag im neunten Bezirk. Empfangen wurde Freund von einer Frau Mitte vierzig, stämmig, der dunkle Wuschelkopf zeigte erste graue Strähnen. Sie hatte weder viel Kontakt mit ihrem Bruder, noch wusste sie von seiner Bekanntschaft mit Florian Dorin. Offenbar las niemand in dieser Familie die Klatschspalten. Sonst hätten sie die Ähnlichkeit mit Florian Dorin bemerken müssen. Oder machten längere Haare und ein paar Kilo mehr wirklich so einen Unterschied? Die Familie Dorin allerdings sagte ihr etwas.
    »Über die hat der Papa immer geschimpft, solange der Alte bei der Industriellenvereinigung aktiv war.«
    Später hat er sein Urteil geändert, dachte Freund.
    »Darf ich Sie fragen, was für ein Mensch Ihr Bruder ist?«
    Sie betrachtete ihn skeptisch. »Glauben Sie, dass er etwas angestellt hat?«
    »Nein«, sagte er, und dabei schwindelte er nicht einmal, denn er wusste wirklich nicht, was er von diesem Verwirrspiel halten sollte.
    Sie musterte ihn misstrauisch, antwortete dann aber doch.
    »Nett, schüchtern. Nicht besonders durchsetzungsfreudig. Emil möchte es immer allen recht machen. Recht verwöhnt, als jüngster Bruder von zwei Schwestern. Sein größtes Problem ist wahrscheinlich, dass er mit Vaters Idealen nie etwas anfangen konnte. Ach was rede ich, Ideale! Sehen Sie, wir sind in dieser Familie eines Sozialdemokraten und Gewerkschafters aufgewachsen, waren bei den Roten Falken, der ganze Kram. Dabei hatte Vater damals schon ein Segelschiff am Neusiedler See und baute ein protziges Haus in der Steiermark als Quartier fürs Skifahren oder auch im Sommer. Mit diesem Zwiespalt mussten wir leben.«
    So viel zum bescheidenen Gewerkschafter, dachte Freund ernüchtert.
    »Dazu war unsere Jugend und Studienzeit geprägt von den Reagan-Jahren und seinem Hardcore-Kapitalismus. Plötzlich ging es nur mehr um Geld und Wirtschaft. So sehr, dass später sogar der demokratische US -Präsidentschaftskandidat mit dem Thema warb, erinnern Sie sich an Bill Clintons Wahlkampfslogan ›It’s the economy, stupid!‹.«
    Freund erinnerte sich. Ihre ganze Generation war mit diesem Konflikt groß geworden. Eine Kindheit in der späten Flower-Power-Zeit, auch wenn Österreich davon nur peripher berührt wurde. Dann die grauen Jahre der ersten Ölkrise, der Kalte Krieg, die erwachende Umwelt- und Friedensbewegung. In Parkas und Palästinensertüchern besetzten sie die Donauau und wollten die Welt verbessern. Das geplante Kraftwerk wurde verhindert, die grüne Partei entstand. Diese Werte hatten sie geprägt. Nur um gleich darauf vom kompletten Gegenteil abgelöst zu werden. Plötzlich spekulierten Studenten mit Aktien, trugen blaue Hemden mit weißem Kragen und breiten Hosenträgern. Freund hatte kein Geld dafür, zum Glück. Nach dem Crash 1987 wurden die meisten wieder einfache Studenten, zwangsläufig. Aber das Geld hatte sich als neues Ideal etabliert. Sah Emil Komeska in Florian Dorin seinen Türöffner in diese schöne neue Welt?
    »Leider war Emil nicht dafür gemacht, vielleicht durch unsere Erziehung. Er absolvierte zwar ein Wirtschaftsstudium, aber danach kam nicht mehr viel. Er schlug sich mit Jobs durch und herum, war nahe am Absturz, bevor Papa ihm die Wohnung besorgte und er in dieser Spedition landete. Es wundert mich nicht, dass er die Freundschaft eines Florian Dorin gesucht hat. Vielleicht sogar, um es Papa heimzuzahlen.«
    Harte Worte über den eigenen Bruder. Aber sie hatte etwas Interessantes

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