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Wienerherz - Kriminalroman

Wienerherz - Kriminalroman

Titel: Wienerherz - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: emons Verlag
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durch das Bundesheer und die Heimwehr aufgegeben hatten. Die Einschusskrater waren längst verschwunden, doch die Erinnerung daran gehörte zum kollektiven Gedächtnis der Stadt. Über einen Kilometer und vier Straßenbahnstationen erstreckte sich das längste zusammenhängende Wohngebäude der Welt, beherrscht von den sechs markanten Türmen über den mächtigen Einfahrten des Mitteltrakts, die von riesigen Fahnenmasten gekrönt wurden. Freund musste eine Viertelstunde lang suchen, bis er den richtigen Eingang fand.
    Der Komplex enthielt Kindergärten, Läden, Arztpraxen, eine Bibliothek. Eine kleine Stadt in der großen. Gemeindebauten wie dieser hatten in den vergangenen Jahrzehnten die Machtbasis der regierenden Sozialdemokraten gebildet. Immerhin wohnte wienweit mit einer halben Million Menschen rund ein Viertel der Bevölkerung in den städtischen Gebäuden. Mittlerweile wilderten hier allerdings erfolgreich die Rechtsradikalen.
    Die Treppenhäuser waren enger, als der Bau von außen vermuten ließ. Komeska empfing ihn im dritten Stock. Er reichte Freund bis zur Nase, stand gebeugt, dünne Hosenträger spannten den Bund seiner Hose über den runden Bauch fast bis zur Brust, wie Freund es von seinem Großvater gekannt hatte. Das schüttere Haar hatte er streng nach hinten gekämmt.
    In der Wohnung roch es nach alten Möbeln und kaltem Gulasch. Komeska bat ihn ins Wohnzimmer. Dort wartete seine Frau, eine Bilderbuchoma mit onduliertem weißem Haar und beigefarbenem Twinset. Ihr Gesicht war trotz ihres Alters fast faltenfrei.
    »Entschuldigen Sie«, sagte Freund. »Ich habe eine ganz unverschämte Frage, und Sie können gern Nein sagen. Ich bin zum ersten Mal in einer Wohnung des Karl-Marx-Hofs und habe mich immer gefragt, wie es da wohl drin aussieht. Sie würden mir nicht kurz ein bisschen was zeigen?«
    »Aber gern«, sagte Hildegard Komeska, ganz Herrin des Hauses. Nicht ohne Stolz führte sie ihn durch die Zimmer, die so klein, aber auch praktisch waren, wie Freund es erwartet hatte.
    »Wir wohnen seit vierzig Jahren hier«, erklärte sie.
    Küche, Bad, Wohnzimmer, Schlafzimmer und noch ein Raum mit einem Stockbett.
    »Das war das Kinderzimmer. Heute ist es das wieder, wenn die Enkerl zu Besuch kommen.«
    Drei Kinder, die gemeinsam in einem fünfzehn Quadratmeter großen Zimmer aufgewachsen waren. Clara und Bernd hatten beide größere Zimmer allein. Uns geht es gut, dachte Freund.
    Sie boten ihm Tee an und setzten sich. An den Wänden hingen Bilder eines jüngeren Rudolf Komeska mit prominenten Persönlichkeiten der Vergangenheit. Freund erkannte den ehemaligen Langzeit-Bundeskanzler Bruno Kreisky, den später ermordeten ägyptischen Präsidenten Anwar as-Sadat, ein paar Gewerkschaftsvorsitzende der siebziger Jahre, einen bekannten Fußballer aus der Zeit. Der ganze Raum atmete Freunds Kindheit und Jugend, auch wenn sein Vater dem anderen politischen Lager angehangen war.
    Im Wandverbau entdeckte Freund Familienbilder, auf denen auch Emil in verschiedenen Phasen seiner Kindheit und Jugend zu sehen war.
    Freund gefielen die beiden alten Leutchen. Vielleicht mochte er die Tatsache, dass sie in das heile Bild passten, das man sich von einem ehemaligen Gewerkschaftsfunktionär machte, und Komeska nicht einer jener Bonzen war, die mit Vielfachfunktionen und -gehältern besser lebten als so mancher Generaldirektor.
    Nachdem Freund die Fotos gewürdigt, ein paar Fragen dazu gestellt und Antworten erhalten hatte, kam er zum Grund seines Besuchs.
    »Haben Sie in den letzten Tagen mit Ihrem Sohn Emil gesprochen?«, fragte er.
    »Nein. Wir telefonieren oder treffen uns zwar ab und zu, aber nicht so häufig. Was ist mit ihm?«
    »Wir suchen ihn als Zeugen«, erklärte Freund. »An seinem Arbeitsplatz hat er sich vor ein paar Tagen krankgemeldet, seitdem hat ihn niemand mehr gesehen.«
    Hildegard Komeska begann unruhig auf dem Sofa hin und her zu rücken. Freund konnte die Besorgtheit in ihrem Gesicht lesen.
    »Hat Ihr Sohn eine Freundin?«
    »Momentan nicht, soweit ich weiß«, sagte Rudolf Komeska.
    »Kennen Sie vielleicht Freunde oder Verwandte, bei denen wir fragen könnten?«
    »Mit seiner Schwester Ines hat er mehr Kontakt. Und ich glaube, mit dem Willi Bolacic, das ist ein alter Schulfreund. Ich kann Ihnen die Telefonnummern geben.«
    Hildegard Komeska schenkte ihm Tee nach.
    »Kennen Sie Florian Dorin?«
    »Sagt mir nichts. Ist der verwandt mit Adalbert Dorin?«
    »Sein ältester Sohn.«
    »Jetzt, wo Sie es

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