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Wieviele Farben hat die Sehnsucht

Wieviele Farben hat die Sehnsucht

Titel: Wieviele Farben hat die Sehnsucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Körner
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der Baumriesen. Dieser trug etwas mit sich, einen feinen Geruch, den der Mann noch nicht kannte, der ihn aber neugierig machte. Also folgte er dem abendlichen Wind, und eines Tages wob vor ihm ein blaues Meer ein weiches Tuch aus Wellen. Der Mann wußte jetzt, was ihn hergeführt hatte.
    Den ganzen Tag wanderte der Mann am warmen Strand, und die Wellen umschäumten seine Füße. Als die Sonne den Horizont berührte, entdeckte er eine kleine Hütte am Rande der Dünen.
    Unten am Meer entwirrte ein Fischer sein Netz und begrüßte den Mann: „Hier, halte mal das Netz. Die Fäden sind ziemlich durcheinander.“ Der Wanderer gehorchte, während der Fischer sich mit den verworrenen Fäden beschäftigte. Höflich fragte er den Fischer, ob er heute nacht in seiner Hütte schlafen könne. „Natürlich“, erwiderte der Fischer. „Das Bett ist schon bereitet, und auf dem Herd steht eine Suppe.“
    „Hast du mich denn erwartet?“ Der Wanderer blickte ihn mit großen, hellen Augen an.
    „Alle kommen zu mir - früher oder später“, murmelte der Fischer und blickte hinaus auf das Meer.
    Der Mann blieb sieben Jahre in der Hütte am Rande der Dünen. Er lernte Netze auswerfen und einholen, half dem Fischer, sie zu entwirren und zu flicken. Er begriff, daß er auch vom Meer etwas über den Sinn des Lebens erfahren konnte, obwohl der Fischer nie darüber sprach.
    Am Abend, bevor er wieder aufbrechen wollte, sagte er zum Fischer: „Ich habe hier viel gelernt. Du hast nie darüber gesprochen, aber für dich ist das Meer wie das Leben. Es ist mächtig und immer in Bewegung. Jede Welle ist anders. Manchmal brüllt es wild im Sturm und dann streichelt es wieder zärtlich den Strand. Es gibt alles, was man braucht, aber es läßt sich zu nichts zwingen.“
    Der Fischer legte das Netz zur Seite und sah dem Mann in die Augen: „So ist es“, meinte er dann, „ich kann dich nichts mehr lehren. Schön, daß du es selbst erfahren hast. Wenn du morgen weiterziehst, nimm diese Muschel mit. Wenn du sie an dein Ohr hältst, wirst du immer das Rauschen des Meeres hören.“
    Am nächsten Morgen brach der Mann früh auf. Der Falke tobte wild in der Luft, der Stein aus dem Gebirge wog immer noch schwer im Gepäck, die Samenkörner waren gut verpackt, und auch die Muschel hatte er nicht vergessen. Es war eine lange Wanderung. Er vermied das hektische Lärmen der Städte und den geschwätzigen Plausch der Dörfer. Sein Weg führte ihn in immer einsamere und stillere Gegenden. Schließlich erreichte er eine große, steinige Wüste. Es gab keine Wege mehr. Der Mann schloß die Augen. Er hörte nichts. Kein Windhauch fächerte die heiße Luft. Selbst der Falke schwieg und rührte sich nicht von seiner Schulter.
    Den ganzen Tag wanderte er durch die Wüste. Das grelle Licht der Sonne blendete ihn, der heiße Sand brannte an seinen Fußsohlen. Aber was kümmerte es ihn? Er hatte die Augen fast geschlossen — außer seinem Atem und dem gleichmäßigen Pochen seines Herzens gab es keine Geräusche. Am Abend, sein Schatten wanderte ihm schon lange Zeit voraus, hörte er eine Stimme. Er blickte sich um und bemerkte eine winzige Hütte. Im Schatten des weitausladenden Daches saß eine Gestalt. Langsam ging der Wanderer auf die Hütte zu. Die Gestalt war still, und der Mann wußte plötzlich, daß er hier die Antwort auf seine Frage finden würde. Inzwischen war die Nacht wie ein kühler, dunkler Schatten über die Wüste gefallen. Als der Mann die Hütte erreichte, war es bereits so dunkel, daß er die Gestalt nur noch schemenhaft erkennen konnte. „Sei mir gegrüßt, fremder Wanderer. Ich teile Brot, Salz und Wasser mit dir.“ Die Stimme der dunklen Gestalt war wie das Wispern des Abendwindes in der Steppe. „Hier enden alle Wege“, hörte er die Gestalt wieder. Jetzt klang die Stimme wie das Atmen des morgendlichen Waldes, wenn die Sonne in den Tautropfen glitzert. „Und hier beginnen auch alle Wege wieder“. War es wirklich die dunkle Gestalt, die zu ihm sprach? Oder hörte er die Melodie eines kleinen klaren Bergbaches.
    Immer noch versuchte der Wanderer das Gesicht der Gestalt zu erkennen, aber die Schatten unter dem Dach waren zu dunkel. Nur manchmal konnte er im Widerschein des aufgehenden Mondes zwei helle Augen blitzen sehen.
    „Ich habe eine Frage“, begann der Wanderer. Aber die Gestalt unterbrach ihn: „Die Frage hat dich“, und die Stimme war fröhlich wie das Spiel kleiner Wellen, die sich an Uferfelsen brechen. „Deshalb bist

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