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Wieweitdugehst - Wieweitdugehst

Wieweitdugehst - Wieweitdugehst

Titel: Wieweitdugehst - Wieweitdugehst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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schon vor langer Zeit eine solide Ehe eingegangen. Ich begann, meine Tasche wieder einzuräumen, warf zerknüllte Taschentücher, einen Tampon ohne Folie und zwei alte Kinokarten in den Müll. Stopp. Da landete etwas im Eimer, das ich nicht weggeben wollte.
    Neta Kasimirs Visitenkarte.

13
    »Ich gehe so gern hier spazieren!« Neta wies auf die spiegelglatte Fläche des Ammersees. »Besonders in der Nacht. Ich bin ja eher ein Angsthase. Deswegen ist Ihr Anruf zur richtigen Zeit gekommen!«
    Ich lachte. »Um als Ihr Bodyguard das Ufer abzuschreiten?«
    Ich hatte Neta einfach angerufen. Ein Impuls, ein Moment der Schwäche und Einsamkeit. Ich mochte sie. Ihr sanftes Wesen, das milchweiße Gesicht, die Sommersprossen, das rotblonde Haar. Kein Thema, hatte sie gesagt, sie würde mich gern treffen. Sie käme gerade von einer Kundin in Kempten. Eine weite Fahrt bis Türkenfeld, wo sie wohnte. Also hatten wir uns in Herrsching auf dem Parkplatz am See getroffen und promenierten nun am Schlösschen vorbei.
    »Manchmal, wenn ich ein paar Stunden bei einem Kunden verbracht habe, dann bin ich ganz leer«, sagte sie.
    »Wer ist die Dame, die Sie heute besucht haben?«
    »Dame, das ist der richtige Ausdruck. Aber natürlich ist das vertraulich. Tja, meistens buchen mich Frauen.«
    »Nein, Männer halten nicht viel von Geschichten«, gab ich naseweis zum Besten. »Schon gar nicht von ihrer Heilkraft.«
    »Es sind fast immer Frauen, die ihren Mann verloren haben«, machte Neta weiter. »Manchmal auch ihre Kinder. Frauen, die alle verloren haben, die sie liebten. So wie Liliana.«
    »Ihre Mutter?« Ich runzelte die Stirn. Diese Informationen kriegte ich nicht ganz zusammen.
    »Sie ist eigentlich nicht meine Mutter. Aber ich habe keine Mutter und sie kein Kind mehr. Also ergab das die perfekte Symbiose.«
    Mir blieb der Mund offen stehen. Wir passierten eine verwaiste Dampferanlegestelle. Jemand kam mit einem Labrador vorbei. Der Hund schnüffelte an Netas Hosenbeinen und trollte sich auf den ungeduldigen Zuruf seines Herrchens.
    »Liliana ist nicht Ihre Mutter«, wiederholte ich langsam.
    »Sie ist nicht meine biologische Mutter. Aber in unserem Inneren spüren wir, dass ich schon immer ihr Kind war. Und sie meine Mutter.« Im Licht der Laternen sah ich, wie Neta rot wurde.
    So eine Geschichte hatte ich noch nie gehört. Mütter brockten einem die scheußlichsten Suppen ein. Dass man sich quasi freiwillig adoptieren ließ … könnte mir nicht passieren. Ich wusste, wie Mütter waren, und würde mir garantiert keine zweite anlachen. Ich nicht. Als suchte ich am Firmament nach Erkenntnis, betrachtete ich die dünne Mondsichel im Schwarz der Nacht.
    »Ist das so was wie eine Erwachsenenadoption?«, fragte ich und kuschelte mich tiefer in meinen Pullover. Septembernächte konnten kalt sein. Über den Trip in die Basilicata würde ich noch mal mit mir zu Rate gehen.
    »Keine offizielle Adoption. Obwohl wir darüber nachdenken. Man muss dann nachweisen, dass man eine enge Beziehung hat und all das. Aber Liliana … sie ist so warmherzig. Ein Pfundskerl mit ihrem sonnigen Lächeln und einer inneren Kraft, die sie sich trotz aller Schrecknisse in ihrem Leben bewahrt hat. Sie ist einfach außerordentlich. Die außergewöhnlichste Frau, die ich jemals kennengelernt habe.«
    »Mütter sind immer ein Thema«, sagte ich. »Ich habe ausgerechnet heute an meine denken müssen.«
    »Sie haben noch eine Mutter?«
    »Eine biologische.«
    Neta lachte auf. »Meine war auch nicht der Hit. Aber jetzt habe ich Liliana.«
    »Welche Mutter ist schon der Hit.«
    »Haben Sie Kinder?«
    »Nein. Und bevor Sie nachfragen: Ich bin 40.«
    »Meine Schwester bekam ihr erstes Kind mit 46.«
    »Na, vielen Dank. Meine Nerven sind nicht mehr die besten!«
    »Lilianas Sohn starb vor zwei Jahren. Ein ganz tragischer Unfall. Dann blieb noch ihr Mann. Bert. Bei ihm wurde ganz plötzlich Krebs festgestellt, kurz nach Weihnachten. Keine zwei Monate später war er tot.«
    Ich kickte einen Kiesel aus dem Weg. Er platschte in den See.
    »Kurz darauf lernte ich Liliana kennen«, erzählte Neta weiter. »Die erste Begegnung war dramatisch. Sie schien in einem Kokon aus Schwärze gefangen. Ihre Freundinnen waren auf mich zugekommen. Hatten ihr vorgeschlagen, sich mit mir zu treffen. Nur um mal auszuprobieren, ob ihr meine Geschichten ein wenig Luft verschaffen.« Neta schwieg einen Augenblick. Sie blieb stehen und sah über den See nach Westen. Ein orangefarbener Lichtstreif lag

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