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Wieweitdugehst - Wieweitdugehst

Wieweitdugehst - Wieweitdugehst

Titel: Wieweitdugehst - Wieweitdugehst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
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Westen ist?«, fragte sie. »Dass wir meinen, eine Geschichte sei zu hundert Prozent eine Parallele zur Wirklichkeit. Wie eine Statistik, die man sich aus dem Internet herunterlädt. Aber wenn wir erzählen, schaffen wir eine andere Wirklichkeit. Geht es Ihnen auch so mit Ihrer Arbeit? Verstehen Sie, wovon ich rede?«
    »Absolut.« Klar, mir ging es nicht anders. Aber ich zeichnete die Wirklichkeit in den Farben meiner Kunden. Anders Neta, die ein Bild für den Kunden entwarf, das sich an ihm orientierte, aber aus ihrem Kopf kam. Ich sollte den Job wechseln. Beinahe beneidete ich Neta. Leider war ich mündlich nicht besonders gut. Auf Papier fühlte ich mich sicherer.
    »Sollen wir umkehren? Es wird kalt.« Neta zog die Schultern hoch. »Und ich wollte noch bei Liliana vorbeischauen. Sie hat morgen einen Termin beim Anwalt.«
    »Anwalt?«
    »Es geht um das Erbe. Bert, ihr Mann, hatte noch einen Sohn. Unehelich. Kommt ja vor. Er hat die Hälfte vom Haus geerbt. Liliana will verkaufen.«
    »Ach, herrje. Wenn die Geldbörse klirrt, wird es immer unschön.«
    »Haben Sie eigentlich etwas von der Geisterbahnsache gehört? Wissen Sie, wer der tote Junge ist? Kannten Sie nicht jemanden beim LKA? Die Zeitungen schreiben seinen Namen nicht.«
    »Minderjährige genießen einen gewissen Schutz.« Ich bohrte die Hände tief in die Taschen. »Und ja, ich kenne jemanden beim LKA. So to say. Er ist mein Freund.« Das klang, als wäre ich 16. »Hauptkommissar. Er hat noch versucht, den Jungen wiederzubeleben, aber es hat nicht gereicht. Er war tot.«
    »Liliana nimmt diese Sache unheimlich mit. So nah am Geschehen gewesen zu sein. Das wühlt sie im Innersten auf. Ihre eigene Geschichte steht vor ihren Augen.«
    Ich dachte an Julianes Worte, heute, im Auto. »Man fragt sich so manches. Zum Beispiel, warum dieses Kind sterben sollte.«
    »Sie glauben also an die Mordgeschichte? Kein Unfall?«
    »Mord!« Ich war überzeugt. »Definiert als vorsätzliche Tötung eines Menschen aus einem bestimmten Beweggrund oder zu einem bestimmten Zweck. Alles war akribisch vorbereitet, die Videoüberwachung ausgeschaltet, der Techniker betäubt …«
    »Was für ein Wahnsinn! Was der Mörder alles geplant, durchdacht und schließlich durchgezogen haben muss. Im Merkur stand, es handelte sich um einen Einzeltäter.«
    Ich zuckte die Achseln. Reihenweise waren nun hochmotivierte Jungjournalisten 24 Stunden pro Tag auf der Pirsch. Im Geistermord sahen sie die Chance, endlich vollwertige Mitglieder der Redaktionen zu werden und irgendwann nicht mehr für einen Hungerlohn in der Endlosschleife eines Volontariats rackern zu müssen. Verbrechen eigneten sich hervorragend als Trittsteine auf der Karriereleiter eines Reporters.
    Wir gingen immer schneller. Nebel stieg aus dem Wasser. Nicht weit vom Ufer entfernt glitt ein Ruderboot vorbei. Unsere Stimmen klangen mit einem Mal sehr laut. Ich fröstelte.
    »Eine Freundin von mir meinte, dass der Mörder es nicht auf den Jungen abgesehen haben dürfte.«
    »Wie bitte?« Neta starrte mich schockiert an.
    »Sicher genauso wenig auf Sie oder Liliana«, beruhigte ich sie sofort. »Nein, es ist doch auffällig, dass ein ganzes Team vom LKA in der Geisterbahn fuhr, als das Verbrechen passierte. Konnte der Mörder nicht einen von den Beamten gemeint haben?«
    »Mir läuft es kalt den Rücken hinunter.«
    »Mir auch.« Nicht Nero. Nero konnte nicht gemeint sein. Wer würde einen Dozenten umbringen wollen, der seine Leute in die Tiefen des Cyberspace führte? Verdammt, ich sollte die Landshut-Geschichte bedenken. Der Fall, in dem mein Spider das Zeitliche gesegnet hatte, ich beinahe mein eines Auge durch mehrere Holzsplitter eingebüßt hätte und Nero ebenso beinahe mit meinem Spider zusammen in die Luft geflogen wäre. Wer die Sprengladung gezündet hatte, war bis heute nicht geklärt worden.
    Wir waren am Parkplatz angekommen. Die Dunkelheit hing zwischen den Büschen. Auf der Straße fuhr ein Rad vorbei. Ohne Licht. Neta ging zu ihrem verbeulten Twingo.
    »War nett«, sagte sie. »Wir sollten in Kontakt bleiben.«
    »Auf alle Fälle.« Ich wollte ihr die Hand reichen, fand die Geste aber zu förmlich. Zu einer Umarmung konnte ich mich nicht durchringen. »Schönen Gruß an Liliana.«
    »Werde ich ausrichten. Kommen Sie gut nach Hause.«
    Ich dachte an ›The Demon‹, sah Neta vor mir, wie sie aus der Gondel gesprungen war, das Telefon am Ohr. Ich war gar nicht erst eingestiegen. Hatte der Mörder auf jemanden

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