Wieweitdugehst - Wieweitdugehst
Geschäftsfrau, wie sie im Buche stand, mit ihrem blankpolierten Schild über der Theke. Hier glänzte und blitzte alles. Wahrscheinlich hatte das Gesundheitsamt noch nie auch nur ein einziges Staubkorn beanstandet.
Salzgurken-Michi sah mich an. »Die Wiesn ist mein Jahresverdienst. Da drüben, in den Bierzelten, da arbeiten manche Mädchen fast rund um die Uhr. Dann fahren sie mit ihrem Geld in den Urlaub. Die können sich was leisten für 16 Tage Arschbackengrapschen.«
Juliane verzog das Gesicht, als sie in ihre Gurke biss.
»Und bevor Sie mich fragen, ob ich was gesehen habe«, fuhr die Gurkenfrau fort, »ich habe alles schon der Polizei erzählt. Möchten S’ ein Brot dazu?«
Juliane schüttelte den Kopf. Ihre Kreolen baumelten wild. Seit gestern hatten ihre superkurzen Ponyfransen einen roten Schatten. »Selbstgetönt«, hatte sie mir vorhin zugeraunt. »Um besser zu deinem neuen Flitzer zu passen.«
Ein ebenso schlagendes Argument waren ihre roten Latzhosen aus duftigem Leinenstoff, unter denen sie ein enges weißes Shirt trug, das ihren zierlichen Körper deutlich zur Geltung brachte. Seit ihre Schwester Dolly, die an einer mittelschweren Alzheimer-Demenz litt, in einem Pflegeheim lebte, drehte Juliane wieder so richtig auf. Sie hatte sich als Krankenschwester bei Dolly versucht, der Belastung aber nicht standgehalten.
»Sie könnten es gewesen sein«, erklärte Salzgurken-Michi, wies mit dem Kinn auf Juliane, klatschte eine neue Gurke auf einen Pappteller und reichte ihn dem Mann, der sich neben mich an den Tresen stellte: »Macht 3,50.«
»Preise sind das«, sagte der Mann.
»Ja, Herrschaft, meinst du, ich steh mir hier umsonst die Beine in den Bauch, damit du was Anständiges in den Magen bekommst?« Unwillig schüttelte Michi den Kopf, dass die herausgewachsene Dauerwelle flatterte.
Der Mann zahlte schleunigst, griff nach seiner Gurke und suchte das Weite.
»Manche brauchen das«, erklärte die Gurkenfrau und strich mit den Fingern über die blau-weiß gestreifte Schürze. »Die müssen mal richtig hart rangenommen werden. Deshalb kommen s’ zu mir. Also, wie gesagt, Sie könnten es gewesen sein.«
Ich starrte zwischen Juliane und Salzgurken-Michi hin und her. »Was meinen Sie?«, fragte ich dämlich.
»Da ist ein Knabe aus der Geisterbahn geschlüpft. Ganz schwarz angezogen. Drüben gehen ja ständig Leute ein und aus.« Sie wies auf die Tür an der Schmalseite von ›The Demon‹. Die G-Bahn grenzte genau an ihre Salzgurkenbude. »Ich bin hier allein, aber dort arbeitet ein ganzes Bataillon. Bei mir haben die nie was gekauft, bei denen tauchen Frauen mit Kopftüchern auf und bringen den Herren die Brotzeiten.«
»Man kann sich nicht nur von Salzgurken ernähren«, erklärte Juliane.
Ich hielt den Atem an. Erwartete, Salzgurken-Michi würde mit ihrer Holzzange ausholen und Juliane eins überbraten.
»Schon recht.« Michi grinste nur. »Aber der Knabe, der sah aus wie Sie.« Sie musterte Juliane von oben bis unten. »Dünn wie ein Strich.«
»Schilddrüse«, sagte Juliane.
»Sehen Sie, Ihre kann was. Meine hat mein ganzes Leben lang nicht richtig losgelegt.«
Ich würgte meinen Gurkenrest hinunter. Nicht, dass ich meinte, viel mit Salzgurken-Michi gemeinsam zu haben, aber zwischen unseren Schilddrüsen schien die Chemie zu stimmen. Behäbig klopfte sie sich auf den Bauchspeck.
»Na, was ich auch der Polizei gesagt habe: Schon bei den Aufbauarbeiten haben sich hier immer Leute herumgetrieben. Solche, die hier nichts zu suchen hatten. Mal habe ich einen dünnen Mann in Lederhosen gesehen, mal einen mit Panamahut und Sonnenbrille. Meine Bude ist ja schnell aufgestellt. Dann habe ich geputzt und für alles gesorgt und die Kontrolleure bezirzt. Aber der Kerl, der Dünne, der hatte garantiert nichts mit dem Aufbau zu tun und vom Amt war der auch nicht.«
Juliane legte ihre angebissene Gurke auf den Tresen. »Meine Schilddrüse kann nicht mehr«, sagte sie.
19
Der Mann, der über die B 13 nach Ingolstadt rauschte, war Vertreter einer Schuhfirma. Italienische Mode für die Dame von heute. Er belieferte nur exklusive Boutiquen. Sein Name war Heiner Streng.
Mit den Kunden riss er Witze über seinen Namen. Scherze über sich selbst zu machen, gehörte zum Business. Selbstironie kam gut an.
Heute brauste er über die Bundesstraße, um dem Stau auf der A 9 zu entgehen. Das Oktoberfest machte den Verkehr in und um München noch unerträglicher, als er ohnehin schon war. Skisaison,
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