Wieweitdugehst - Wieweitdugehst
Lederhosen. Ich lugte auf das Kennzeichen des Busses: Osnabrück. War ja nicht anders zu erwarten. Jeder, aber auch jeder in München wusste: Je perfekter das bayerische Outfit eines Oktoberfestgastes, desto weiter stammte der Besucher weg.
Ich setzte mich in meinem Alfa zurecht, wog das Handy in der Hand. Liliana am Telefon von Netas Unfall zu berichten, kam nicht infrage. Ich würde hinfahren müssen. Eine gute Gelegenheit, den Spider einzufahren, dachte ich. Schämte mich, weil ich bei all dem Elend anderer Menschen an meinen neuen Wagen dachte. Ich fürchtete mich vor dem Entsetzen, das Liliana erfassen würde, sobald sie hörte, was geschehen war. Spürte schon im Vorhinein, wie sich das Grauen, die Angst, der Zorn über das Unfassliche auf mich übertragen würde.
Das Schrillen meines Handys riss mich aus meinen trüben Gedanken.
»Laverde?«
»Hier auch!«
Der drohende Unterton in diesen zwei Worten konnte nur von einer Person stammen. Abgesehen davon, dass es außer mir nur noch zwei weibliche Laverdes gab: die Frau meines Bruders und meine Mutter. Heute hatte ich die Ehre, mit letzterer telefonieren zu dürfen.
»Ich weiß auch nicht, man sieht und hört nichts von dir! Wo steckst du?«
»Rasthaus Köschinger Forst.« Ich fuhr mir mit der Hand übers Gesicht. Wohin würde dieses Telefonat führen?
»Könntest dich schon mal melden. Na ja. Halb so wild.« Sie milderte ihre Anklage ab mit dem Zweck, mir zu zeigen, wie freundlich sie gestimmt war. »Wie läuft’s sonst so?«
Das mit der kreativen Auszeit würde sie mir übel ankreiden. »Och, alles im grünen Bereich«, wich ich aus.
»Woran arbeitest du zurzeit?«
»Das fällt unter Diskretion.«
»Bei dir klingt es aber mehr nach Beichtgeheimnis.« Frau Laverde senior kicherte. Sie teilte mir mit, mein Schweigen einerseits für albern und übertrieben zu halten, andererseits aber zu akzeptieren, dass sie keinen Einblick in meinen Beruf bekam. Über meine Projekte wusste sie nicht mehr als das, was auf meiner Webseite stand und von der ganzen Welt gelesen werden durfte. Weil sie das mehr oder weniger widerspruchslos schluckte, forderte sie im Gegenzug Einblick in mein Privatleben.
»Bist du noch mit diesem Polizisten zusammen?«
Das hatte Janne ihr gesteckt. Mein lieber Bruder, der oft mit Insiderinformationen aus meiner Tüte bei Frau Laverde hausieren ging. Ich sah sie vor mir: Gerade wieder von den Folgen einer bizarren Diät genesen, das Haar kastanienbraun getönt, die Nägel lackiert, Strass und Glitter an Shirt und Gürtel, Stickereien auf der Jeans, Perlen in den Ohren, Tusche auf den Wimpern.
»Was gibt’s bei dir Neues?«, fragte ich lässig.
»Kea Guckmichnichtan!«, spöttelte sie. »Nur nichts rauslassen, was?«
»Hör mal, ich muss weiter und …«
»Ganz kurz nur. Ich habe vor umzuziehen.«
Mein Magen krampfte sich zusammen. Die Bundesrepublik war groß. Nicht nach München. Bitte nicht nach München.
»Und ehe du fragst, ich bin ja ein bisschen mitteilsamer als meine Tochter: Es geht um einen Mann.«
Da bin ich aber beruhigt, dachte ich.
»Wie sieht es mit dem Münchner Wohnungsmarkt aus?«
Knall. Voll ins Schwarze getroffen. Sie kam nach München. Ich sah Frau Laverde schon im Coupé vor meiner Haustür halten.
»Mau«, sagte ich heiser. »Es gibt nichts Bezahlbares.« Mehr fiel mir dazu nicht ein.
»Komm schon, Kea, greif mir einmal unter die Arme! Kennst du niemanden? Makler, Immobilienagentur? Du hörst doch die Flöhe husten.«
Ich kramte in meinem überstrapazierten Gehirn. Neta, der Unfall, Liliana – und jetzt auch noch Frau Laverde.
»Gina Steinfelder«, sagte ich. »Immobilienbüro. Findest du garantiert in den Gelben Seiten. Du, mein Akku ist gleich leer. Bis demnächst!«
Mit einem entschlossenen Knopfdruck schaltete ich das Handy aus, warf es nach alter Gewohnheit auf den Beifahrersitz und fuhr los.
22
»Ich sehe, Sie sind vorangekommen?«
Marek rührte in seinem Espresso. Er mochte keinen Espresso, aber Dr. Klug hatte zwei bestellt, und so ließ er sich drauf ein.
»Wir haben einen Unfall in Ingolstadt.«
»Das ist doch was.« Dr. Klug lächelte. »Bringen Sie Unfall und Geisterbahn zusammen.«
Marek spürte, wie seine Hände vor Anspannung zitterten. »Noch sind wir am Ermitteln. Die Fahrerin des Unfallwagens …«
»Keine Details! Details langweilen mich. Kleinigkeiten sind Beschäftigungstherapie. Meine Sache ist das große Ganze.«
Marek spürte seinen inneren Widerstand. Aber dann war da
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