Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wieweitdugehst - Wieweitdugehst

Wieweitdugehst - Wieweitdugehst

Titel: Wieweitdugehst - Wieweitdugehst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friederike Schmöe
Vom Netzwerk:
ich.
    »Ich will nicht reden.«
    Denkste, dachte ich. Alle wollen sie reden. Bei manchen war das Bedürfnis so gewaltig, dass sie Geister wie mich engagierten. Endlich mal alles loswerden und jemanden haben, der Ordnung in den Müll brachte! Man wollte den Abfall hübsch sortiert in den Regalen sehen und sich dann von ihm verabschieden. Und dabei verzerren, übertreiben, lügen, ausstreichen und beschönigen auf Teufel komm raus.
    »Ich bin Ghostwriterin«, sagte ich. »Ich habe schon die absonderlichsten Geschichten gehört. Aber das, was Sie hier veranstalten, ist mir noch nicht untergekommen. Hatten Sie es von Anfang an auf Neta abgesehen?«
    »Der Schmerz kann wahnsinnig machen! Er kann betäuben, den Kopf leeren. Er kann dich in Stein verwandeln. Kann dein Herz zerquetschen.«
    »Warum in ›The Demon‹?«
    »Ich wusste, dass sie dort sein würden.«
    »Wer – sie?«
    »Er hat mir versprochen, er lässt sich scheiden.«
    Das hörte man ja oft. Glaube nie einem Mann, der dir verspricht, er lässt sich scheiden, denn höchstwahrscheinlich will er nur mit dir ins Bett. Ich fuhr langsamer.
    »Ich wollte Gerechtigkeit. Immer. All die Jahre.«
    »Hat er nicht für seinen Sohn bezahlt?«
    »Oh, aber nein, meine Dame!« Astrid Nedopil lachte kalt auf. »Er hat bezahlt. Er hat immer alles ganz korrekt ablaufen lassen. Korrekt, nach dem Gesetz. Marius musste es an nichts fehlen. An nichts Materiellem. Er hat sich auch immer um Marius gekümmert. Die Besuchszeiten eingehalten, alles akkurat durchgeplant. Aber wir waren nie eine richtige Familie.« Sie schnaubte. »Er hatte meinen Hausschlüssel. Er konnte jederzeit kommen, wann immer er wollte. Aber ich, ich durfte ihn nicht mal anrufen. Auch nicht auf seinem Handy. Einmal hatte Marius eine schwere Grippe. Der Arzt empfahl mir, den Jungen ins Krankenhaus zu bringen, zur Beobachtung. Ich war verzweifelt. Ich wusste nicht, was ich machen sollte. Rief Bert an. Er rastete aus, weil ich mich nicht an die Abmachung gehalten hatte.«
    »Es war ein außergesetzlicher Notfall.« Ich hoffte, mich mit Astrid Nedopil wenigstens oberflächlich zu solidarisieren.
    »Solche Ausnahmen kannte Bert nicht.«
    Du dumme Nuss, dachte ich. Dem Kerl hätte ich den Hausschlüssel entzogen und klargemacht, dass ich die Bedürfnisse, die seine Frau nicht befriedigt, nicht zu saturieren gedenke. So einfach war das. Hilflosigkeit fand ich zum Kotzen. Aber ich hatte mich auch noch nie in einen verheirateten Mann verliebt. Zugegeben, ich hatte mich selten verliebt.
    »Bert hat Marius geliebt. Von Herzen. Als Bert im Sterben lag, wollte ich ihn sehen, aber die Alte hat mich nicht zu ihm gelassen. Marius allerdings durfte seinen Vater besuchen. Was für ein Zugeständnis. Aber mich haben ihre Freunde vor dem Krankenzimmer abgepasst. Kein Zugang für Huren.«
    Ich dachte an mein Mitleid für Liliana und überlegte, ob ich mich nicht zu schnell auf eine Seite festgelegt hatte. Definitiv waren die vergangenen Jahre für Astrid Nedopil auch nicht allzu gemütlich verlaufen.
    »Ich habe nur Almosen bekommen, Brosamen, Mitleid, wenn ich zu sehr geklagt habe, wenn ich einmal nicht geduldig war. Ich war allzeit bereit für ihn. Aber er hatte immer einen Grund, nicht bereit zu sein.«
    Bitterkeit tat weh. Selbst dem Zuhörer. Am meisten aber vergiftete Bitterkeit den Menschen, der sich damit vollsog. Ich hatte als Biografin Leute kennengelernt, die ein schönes, angenehmes, sogar von Liebe und Zuneigung gesegnetes Leben hätten führen können, sich aber an irgendeinem Ereignis aufgeilten, das ihnen in der Vergangenheit angetan worden war. Sie klebten an dieser empfundenen Schmach wie Fliegen am Fliegenfänger. Kamen nicht los und versauten ihr Leben.
    »Ich habe den Effekt bei der falschen Gondel ausgelöst«, sagte Astrid tonlos. »Auf den Monitoren im Kontrollraum konnte man die Gesichter der Leute nicht erkennen. Alles dunkel, grau, verschwommen. Ich sah meinen eigenen Sohn und dachte, es wäre Neta. Gleiche Statur, gleiche Größe.« Sie schien immer noch verwundert, dass ihr so ein Lapsus passiert war.
    »Woher können Sie so gut mit Computern umgehen?«, fragte ich. Ich fragte aus Neugier. Hoffte auf einen Stau. Ein Stau wäre meine Rettung. Aus dem Wagen springen und rennen. Mich in irgendein anderes Auto in Sicherheit bringen. Starke Männer zu Hilfe rufen, die Astrid Nedopil überwältigen würden. Aber wie so oft, wenn man bettelte und flehte: Es gab keinen Stau auf der A 9. Nur ein paar Busse, in

Weitere Kostenlose Bücher