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Wigges Tauschrausch

Wigges Tauschrausch

Titel: Wigges Tauschrausch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wigge
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möchte, sondern ich im Auftrag des Kulturaustauschs unterwegs bin. Ich verwickele mich in umständliche Erklärungen darüber, warum ich so gekleidet bin. Zum Glück scheint Eric mir meinen Aufzug nicht wirklich übel zu nehmen, denn wir unterhalten uns ausgesprochen gut, während wir auf 2000 Höhenmetern durch den Regenwald wandern und Eric einen 25 Kilo schweren Sack auf dem Kopf trägt, den er sich von mir auf gar keinen Fall abnehmen lassen will. Er erzählt mir, dass er ziemlich genau über die Kolonialgeschichte Bescheid wisse, auch darüber, wie der Kilimandscharo damals hieß und dass er am Ende des 19. Jahrhunderts zum ersten Mal von dem Deutschen Hans Meyer bestiegen wurde.
    Auf meine Frage, was er über die Kolonialzeit unter den Deutschen denkt, meint Eric zu meiner Überraschung, dass der Austausch mit den Deutschen in Tansania viel Positives gebracht habe, zum Beispiel eine bessere Infrastruktur und ein weitläufiges Eisenbahnnetz. Dann erzählt er noch, dass es auch einen Austausch von Wörtern in den jeweiligen Sprachen gegeben habe. So wird im Kisuaheli immer noch das Wort »Schule« verwendet, und Karotten heißen auf Kisuaheli »Karotti«. Aber ein Austausch wäre kein Austausch, hätte nicht auch die andere Seite etwas aus der fremden Sprache übernommen. So benutzen wir in Deutschland beispielsweise das Wort »Safari«, das aus dem Kisuaheli stammt und dort ganz einfach »Reise« heißt.
    Eric und ich marschieren durch den schwül-warmen Regenwald den Berg hinauf und tauschen uns die ganze Zeit über angeregt aus. Eric erzählt mir, dass er als Lastenträger circa zehn Euro für sechs Tage bekommt, was ich erschütternd wenig finde, zumal ich tausend Euro an den Tourorganisator zahlen musste. Er erzählt mir, dass er eigentlich gerne Jura studieren würde, was allerdings 800 Dollar im Jahr koste und für ihn unerschwinglich sei. Deshalb sieht er seine Zukunft am Berg – mit 25 Kilo hoch, mit 25 Kilorunter und mit 25 Kilo wieder hoch! Ich frage ihn, wie man wohl drauf ist, wenn man das zwanzig Jahre lang macht. Eric antwortet: »Dann bist du einfach nur tot.«
    Es schockiert mich, in diesem Moment einsehen zu müssen, dass auch ich Teil dieser Strukturen bin, wenn ich Erics Dienste in Anspruch nehme. Ich fange an zu überlegen, wie ich Eric unterstützen kann, finde zu diesem Zeitpunkt aber noch keine Antwort. Um die Stimmung etwas aufzulockern, hole ich mein goldenes Waldhorn aus dem Rucksack, das mein Wander-Outfit abrundet, aber auch ein gutes Versteck für meine Gold- und Silbertaler abgibt, um diese unauffällig über die Schmugglerroute nach Kenia bringen zu können. Ich habe sie im Vorfeld deshalb in der großen Hornöffnung unter einem goldfarbenen Klebeband unauffällig versteckt. Als Eric das Waldhorn sieht, ruft er begeistert: »Wow, eine Vuvuzela!« Ich muss lachen, da ich die afrikanische Vuvuzela erst seit der Fußball-Weltmeisterschaft aus Südafrika kenne, wo sie jedes Fußballspiel in eine Geräuschhölle verwandelt hat. Aber ein deutsches Waldhorn und eine afrikanische Vuvuzela scheinen sich bis auf die Form doch ziemlich zu ähneln. Eric und ich pusten nun abwechselnd in das Waldhorn, womit wir andere Lastenträger, die ebenfalls mit Touristen den Kilimandscharo besteigen, durch den Lärm (ja, die Töne sind bei uns beiden grausam) anlocken. Ungefähr fünfzehn Minuten später haben bestimmt zwanzig afrikanische Träger diese ungewöhnliche Vuvuzela ausprobiert, so dass wohl auch der letzte Vogel im Wald weiß, dass gerade ein Deutscher den Kilimandscharo besteigen beziehungsweise überqueren möchte. Kurzum: Ein deutsch-afrikanischer Kulturaustausch hat an diesem ersten Tag eindeutig stattgefunden.
    Der zweite Tag gestaltet sich ein wenig schwieriger, da ich mich bei Eric vortaste, wie es wohl aussähe, wenn sich plötzlich ein Tourist über die Schmugglerroute nach Kenia absetzen würde. Eric erklärt mir sehr eindringlich, dass man mit hohen Strafen zu rechnen hat, wenn man den Berg nicht wieder auf tansanischer Seite hinuntersteigt. Ich gebe zu bedenken, dass man beim Nationalparkbüro einen Touristen, der sich abgesetzt hat, doch einfach nicht erwähnen bräuchte. Inzwischen hat sich Erics Miene deutlich verfinstert. Kurz angebunden erklärt er, dass die hohen Strafen sowohl für den Touristen als auch für den Träger gelten und deshalb nicht die geringste Chance bestünde, dass ein Porter ohne seinen Touristen zurückkehre.
    Ich überlege den ganzen Tag, wie ich mich

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