Wigges Tauschrausch
gebe es zu – es gehört auch zu einem dieser Träume meiner Kinderzeit, eines Tages einmal von der Spitze des Kilimandscharos hinunterzuwinken.
Acht Stunden später steige ich auf dem Kilimandscharo-Airport aus dem Flieger. Der große, weiße Berg, der unter den deutschen Kolonialherren, als Tansania zur Kolonie ›Deutsch-ost-Afrika‹ gehörte, Kaiser-Wilhelm-Spitze hieß, begrüßt mich schon auf dem Rollfeld des Flughafens mit seiner imposanten Schneekuppe, die in den Wolken verschwindet. Ich spüre jetzt schon, dass ich hier vier spannende Wochen verbringen werde. In einem Hostel in Arusha bereite ich mich sofort auf meinen ersten Tauschversuch vor. In gewohnter Weise sammele ich einige Argumente für die anstehenden Tauschgespräche. Ich überlege, wofür die Gold- und Silbermünzen sonst noch zu gebrauchen sind, falls man sie nicht als schnödes Zahlungsmittel einsetzen möchte:
Goldtaler als Sonnenuhr: Stelle eine Zigarette senkrecht auf einen der Taler und leuchte sie mit einer Taschenlampe an.
Goldtaler als Stöpsel fürs Waschbecken: Lege einen Taler in die Abflussöffnung. Unglaublich, Goldtaler haben die gleiche Größe wie genormte Waschbeckenabflussöffnungen!
Goldtaler als Ersatz für Mühle- oder Damespielsteine: Falls man (z.B. auf einer langen Tauschrausch-Reise) einzelne Brettspielsteine verloren hat.
Goldtaler als Malhilfe: Umfahre einen Goldtaler mit einem Bleistift. Wenn man zum Beispiel eine Sonne oder die Reifen eines Autos malen möchte, bekommt man so einen ordentlichen Kreis hin.
Goldtaler als Stabilisierung für wackelige Tische: Stapele drei Münzen übereinander, lege sie unter das zu kurze Bein, und der Tisch hat wieder seine Ruhe.
So ziehe ich mit meinen Münzen, die ich sicherheitshalber in ihren durchsichtigen Hüllen an der Innenseite meiner Jacke eingenäht habe, durch Arusha, um ein Gefühl für einen potenziellen Goldtausch in Afrika zu bekommen. An einer Autowerkstatt versammeln sich sofort zwanzig Afrikaner, die alle neugierig die drei goldschimmernden Taler in der Innenseite meiner Jacke bestaunen. Die Neugierde bei so viel Glitzer ist groß, bis jemand Zweifel anmeldet. »Ich glaube dir kein Wort, die Taler sind nicht echt!«
Ich kontere, dass es echtes Gold sei und ich diese Taler gegen etwas anderes tauschen möchte. Die Menge lacht und einer zeigt sogar mit dem Finger auf mich. Ich werde als weißer Hochstapler geoutet und trotz High-Five-Handschlägen und viel Gelächter kann ich meine Glaubwürdigkeit nicht mehr herstellen. Wenig später treffe ich Onzen am Straßenrand. Er sieht aus wie der halbseidene und recht unseriöse Verkäufer an der Straßenecke, dem man NICHT trauen sollte. Eine zehn Zentimeter lange Narbe über der linken Wange tut ein Übriges. Unseriös trifft Unseriös,denke ich mir, da muss doch was gehen!
Ich zeige ihm vorsichtig die drei Goldtaler in meiner Jacke und biete sie ihm zum Tausch an. Onzen schaut interessiert und zeigt mir zwei Edelsteine, Tansanite, die blau-lila funkeln und mir wirklich gefallen. Ich habe in verschiedenen Reiseführern über diese Edelsteine gelesen. Sie werden seit den 60er Jahren ausschließlich in Tansania abgebaut und haben in westlichen Ländern angeblich oftmals den doppelten Wert wie in Tansania selbst. Ich bin neugierig, aber Onzen wiederholt ständig: »Geld, Geld, gib mir Geld dafür!«
So geht der Tag mit weiteren Absagen dahin. Ich treffe Kinder mit einem Fahrrad, die es nicht mal gegen 5000 Dollar in Gold eintauschen möchten, und eine Gruppe junger Männer, die selbst ihre Sportschuhe dafür nicht hergeben würden. Die Erklärung ist immer dieselbe: Erstens sehen sie mich als potenziellen Hochstapler, der ihnen Fälschungen andrehen will, und zweitens tauschen sie nicht gerne, sondern brauchen Geld. Ich entscheide mich, das Goldanbieten auf der Straße abzubrechen, da ich hier niemandem auf die Füße treten möchte.
Mein Taxifahrer Baraka erklärt mir die Situation. Die Passanten in Tansania tauschen grundsätzlich nicht gerne,da Geld für sie einen viel größeren Wert darstellt als irgendwelche Waren. Was hilft ihnen bei ihrem tagtäglichen Kampf ums Überleben irgendein Tauschgegenstand, wenn sie sich damit nicht direkt ein Mittagessen kaufen können. Das Land gehört zu den dreißig ärmsten Ländern der Welt. Das monatliche Pro-Kopf-Einkommen liegt bei gerade mal hundert Euro, und jeder dritte Bürger lebt unter der Armutsgrenze. Hier Gold tauschen zu wollen ist also mehr als unpassend.
Baraka
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