Wigges Tauschrausch
überhaupt nicht mehr in der Lage, den Berg alleine hinunterzusteigen, und noch viel wichtiger: Ich kann Eric nicht im Stich lassen. Was wäre ich für ein Kollegenschwein, wenn ich das täte? Deshalb geht es die nächsten zwei Tage mit Eric zurück ins Tal, zwar ohne Tausch, aber dafür mit einem neuen Freund, was mir auch viel wichtiger ist. Ich entschließe mich letztendlich dazu, Eric das Jurastudium zu finanzieren.
Ein Pfeifchen in Ehren
Zurück in Arusha beginnen nun neben einem fünf (!) Tage anhaltenden Muskelkater in den Beinen mehrere Tage des Zweifels an meinem Unterfangen. Ich bewege mich seit Wochen auf der Stelle, habe nicht einmal getauscht und sitze nach wie vor in Tansania, das sich nicht wirklich für Tauschaktionen eignet. So fällt mir nur noch eine Lösung ein: das Mutterschiff! Schließlich heißt es doch immer, dass in der Not der Staat einspringt, wenn man irgendwo in der Welt Hilfe braucht. Zwar bin ich glücklicherweise nicht in körperlicher, geistiger oder finanzieller Not, dafür stecke ich aber in einer ernsthaften Tauschkrise. Ich setze mich an den Computer und recherchiere nach der deutschen Botschaft in Tansania und werde kurzerhand zum Honorarkonsul in Arusha weitergeleitet. Ich beschreibe ihm in einer Mail mein Anliegen, und kurze Zeit später antwortet der Honorarkonsul mit einer Einladung zu einem Treffen. Schnell duzen wir uns, und Ulf nimmt sich meiner Tauschkrise an. Offensichtlich fühlt er sich wirklich für mich verantwortlich.
Auf meine Frage, wo ich in Tansania denn mit meiner Tausch-Idee ansetzen könne, rückt er erst einmal meinenBlick auf den deutsch-afrikanischen Austausch in der Kolonialzeit zurecht. Kolonialisierung sei nie ein echter Austausch, schließlich wäre das keine Basis für Gleichberechtigung, und es ginge immer nur um die Interessen der Kolonialmacht. Da würde es auch nichts ändern, wenn dabei am Ende eine Eisenbahnlinie oder Ähnliches herausspringt.
Dann erzählt er mir, dass die jüngere Geschichte des Landes von vielen Krisen geprägt sei. In diesen Situationen habe der Staat Tansania die komplette Kaffeeernte gegen Öl eingetauscht, um die Wirtschaft Tansanias am Laufen zu halten. Seinen Aussagen zufolge ging es dabei um riesige Mengen an Tauschgütern, die jeden persönlichen Tausch weit in den Schatten stellen. Da kann ich mit meinen paar Goldstücken wahrscheinlich auch nicht wirklich mithalten.
Eine echte Tauschkultur auf privater Ebene gebe es nur noch bei den unzähligen Stämmen des Landes, da sie oftmals weit weg von größeren Städten wohnten und teilweise keine Infrastruktur hätten, so wie wir sie kennen. In ihren Traditionen spiele das Tauschen daher oft noch eine große Rolle. Das hört sich jetzt doch sehr interessant an. Bei den Stämmen hier in Tansania könnte ich vielleicht meinen Tauschrausch auch ein wenig ausleben, denke ich und frage Ulf, den deutschen Honorarkonsul, wie er das sieht. Inzwischen stehen wir vor einem offiziellen gelben Schild mit der Aufschrift »Bundesrepublik Deutschland«. Ulf führt mich über sein Grundstück, das also offizielles Hoheitsgebiet unseres Landes ist. Dann zeigt er mir seine Kaffeeplantagen, denn wenn Ulf nicht gerade als Honorarkonsul unterwegs ist, handelt er mit Kaffee.
»Ich könnte dir helfen«,wirft er plötzlich ein. Zu meiner großen Überraschung bietet er mir zwei Dinge an:
Einen Tausch: Kaffeesäcke gegen meine Arbeitskraft.
Seinen Jeep als Leihgabe für eine Tauschreise zu den Volksstämmen Tansanias.
Ich stimme sofort zu und bin überglücklich, dass der Tauschrausch weitergeht.
Einen Tag später stehe ich vor hundert Kaffeesäcken, die jeweils sechzig Kilo wiegen und die ich zu einem ungefähr 25 Meter entfernt stehenden LKW tragen soll, um meinen Teil des Tauschs »Kaffeesäcke gegen Arbeitskraft« zu erfüllen. Meine Stimmung ist sofort auf dem Nullpunkt, da ich seit Anfang des Tauschrauschs mit akuten Rückenschmerzen zu kämpfen habe, die gerade erst etwas abgeklungen sind. Aber als ich zu Ulf hinüberblicke, ist mir klar, dass hier ohne Säckeschleppen nicht getauscht wird.
So trage ich einen Sack nach dem anderen vom Lager bis zum LKW , mal auf der Schulter, mal auf dem Rücken und zwischenzeitlich selbst auf dem Kopf. Aber jeder Sack ist wie ein Schlag ins Gesicht beziehungsweise ein Schlag auf den kränkelnden Rücken. Selbst andere Tragepositionen wie »Sack hinter mir herziehen« oder »Sack auf der Brust, während ich mich rückwärts über den Fabrikboden
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