Wigges Tauschrausch
dennoch diskret nach Kenia absetzen kann, ohne dabei Eric zu schaden. Ins offene Messer möchte ich ihn auf gar keinen Fall laufen lassen.
Aber da gibt es keine einfache Lösung, und so geht es am Tag drei auf mittlerweile 4000 bis 4500 Höhenmetern unerbittlich weiter über den Wolken Richtung Schneekuppel des Kilimandscharos. Die Luft wird von Meter zu Meter dünner, so dass ich erste Zweifel bekomme, ob ich überhaupt dazu in der Lage bin, die Bergspitze zu erreichen. Jeder Schritt wirkt wie ein Schritt unter Wasser, als wären Gewichte an meinen Füßen befestigt. Auch das Luftholen fühlt sich an wie das Atmen durch einen Taucher-Schnorchel, denn es gibt jetzt kaum noch Sauerstoff. Ich hechele und schnaufe, während Eric mit den 25 Kilo locker den Berg hochtänzelt und aus Langeweile ab und zu in mein Waldhorn trötet. Der vierte Tag gestaltet sich ähnlich, abgesehen davon, dass Eric mir nun immer mal wieder unter die Arme greifen muss, damit ich nicht japsend den Rückweg antrete. Ohne seinen freundschaftlichen und motivierenden Einsatz hätte ich das wahrscheinlich auch getan.
Am Ende des vierten Tages schlafen wir im letzten Lager auf 4700 Höhenmeter, um von dort am folgenden Vormittag den Gipfel der Kaiser-Wilhelm-Spitze zu erreichen. Zum Glück gehen Touristen diese letzte Etappe in der Regel ohne ihren Träger, da es kaum Sinn macht, 25 Kilo auf die Spitze und sofort wieder hinunter ins letzte Höhenlager zu schleppen. So habe ich genau jetzt die einmalige Chance, mich abzusetzen. Aber mein Gewissen sagt mir: » TU DAS NICHT !«
Mit gemischten Gefühlen verabschiede ich mich um Mitternacht bei minus 10 Grad in einen dicken Skianzug gehüllt und mit einer Bankräuberstoffmaske, die mir Eric leiht. Er bemerkt meine Melancholie und fragt mich, ob ich wirklich hoch auf die Spitze wolle. Ich nicke nur kurz und verschwinde im Dunkeln, um weitere sechs Stunden lang Steigungswinkel von 30 bis 50 Grad zu überwinden und von 4700 bis knapp 6000 Höhenmeter zu gehen beziehungsweise zu wanken.
Warum ich den Aufstieg um Mitternacht beginne? Darüber habe ich ehrlich gesagt überhaupt nicht nachgedacht, ich habe einfach getan, was hier jeder tut. Ich habe mich völlig ahnungslos den anderen Bergsteigern angeschlossen, die die letzte Etappe um Mitternacht starten, um den Sonnenaufgang auf der Spitze zu genießen. Das klingt ziemlich romantisch, ist es aber nicht, denn die sechs Stunden bis dorthin sind die absolute Hölle. Man stolpert durch Geröll und hat keinen blassen Schimmer mehr, wo oben und wo unten ist. Und obwohl ich stolz bin, das alles geschafft zu haben, bleibt es mir bis zum Schluss ein Rätsel, worin der Reiz bei dieser Quälerei besteht.
Während dieser Tortur wird mir absolut klar, dass ichEric mit Sicherheit nicht hängen lassen werde, da freundschaftlicher Austausch klar vor Hochtauschen geht. Ich weiß, dass ich noch heute zurück ins Lager kehren werde. Aber erst mal auf den Gipfel, ein langer Traum von mir, bei dem ich die Anstrengungen nie bedacht hatte.
Nach stundenlangem innerlichen Gefluche über meine Schnapsidee, Kenia über den Kilimandscharo erreichen zu wollen, geht endlich die Sonne auf. Ich stehe auf 5500 Höhenmetern und schnappe nach Luft wie ein Hundewelpe direkt nach der Geburt. Der Anblick hier oben ist dann aber wirklich wahnsinnig, 3000 Meter über den Wolken sieht ein Sonnenaufgang wirklich viel besser aus, als irgendwo an der Costa Brava oder irgendwo auf dem Prenzlauer Berg.
So geht es in warmer Morgensonne den letzten halben Höhenkilometer hinauf bis auf das Dach Afrikas, an riesigen Gletschern vorbei und durch eine Atmosphäre, die der auf dem Mond wohl sehr ähnelt. Und dann stehe ich auf 5895 Metern total kaputt vor einem Holzschild, während ich nur noch schwachsinniges Zeug in Form von Selbstgesprächen in meine Kamera brabbele.
Ja, ich bin überaus glücklich, diesen Berg bestiegen zu haben, und hole meine deutsche Vuvuzela aus dem Rucksack, um dem deutsch-afrikanischen Kulturaustausch auf der ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Spitze ein Ständchen zu tröten, doch selbst das gelingt mir kaum. Ich bekomme lediglich ein leises trööötääää heraus, und dann ist Schluss. Waldhorn spielen ist auf fast 6000 Metern nicht mehr wirklich möglich.
Und da sehe ich sie, zwischen den Gletschern, die alte Schmugglerroute. Soll ich doch dort hinuntergehen? Inzwischen gibt es keinen Zweifel mehr an meiner Antwort: NEIN , DAS WERDE ICH NICHT TUN !
Ich wäre körperlich
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